Gut gemeint, ist nicht gut gemacht

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Im Zuge des steigenden Bewusstseins für Inklusion und Barrierefreiheit sind, wenn es um die Einrichtung einer Website geht, in den vergangenen Jahren sogenannte Accessibility Overlays, vor allem bei kleineren und mittleren Unternehmen, in Mode gekommen. Diese Tools versprechen, durch einfache Eingriffe sämtliche Probleme der Barrierefreiheit beseitigen zu können und damit unter anderem den geltenden Standards der Gesetzgebung zu entsprechen. Fredrik Fischer, zertifizierter Experte für Barrierefreiheit im Web bei der Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen Österreichs erklärt im Interview, warum diese scheinbar einfache Lösung mehr hemmt als hilft.

Access Guide Magazin: Welche Tools gibt es, um das Internet barrierefrei nutzen zu können?

Fredrik Fischer: Es gibt genauso viele Tools zur Zertrümmerung von Barrieren, wie es Barrieren gibt. Hier muss man zwischen konkreten Tools (Software oder Hardware) und Maßnahmen (Arbeitsweisen, die eine Nutzer*in verwendet, um mit einer Situation klarzukommen) unterscheiden. Beispiele aus der erstgenannten Kategorie sind Screenreader, die Text und (teilweise) Grafik in gesprochene Sprache oder Brailleschrift übertragen. Es gibt Vergrößerungssysteme, Blick-, Schalt- oder Blassteuerungen und Reizminderungssysteme sowie Farb- oder Kontrasteinstellungen bei Apps und Brosern. Aus der zweitgenannten Kategorie gibt es individuell sehr unterschiedliche Beispiele von Nutzer*in zu Nutzer*in: es kann von der Erinnerung an die Anzahl der Anschläge bei der TAB-Taste bis zum anderweitig nicht markierten richtigen Link gehen oder ähnliches. Als Nutzer mit Blindheit nutze ich selbst Screenreaders sowohl auf meinem Laptop als auch auf meinem Handy, gegebenenfalls mit Sprachsynthese und/oder Brailleschrift.

Access Guide Magazin: Die Hilfsgemeinschaft kritisiert den Einsatz von Accessibility Overlays. Was hat es damit auf sich?

Fredrik Fischer © Ute Fuith

Fredrik Fischer © Ute Fuith

Fredrik Fischer: Die Werbebotschaften dieser Tools versprechen durch einfache Eingriffe – meist nur das Einsetzen einzelner Zeilen von Code in der Webseitenstruktur – sämtliche Probleme der Barrierefreiheit beseitigen zu können und damit geltenden Standards und der Gesetzgebung zu entsprechen. So könne man, wiederum laut Marketing, den Nutzer*innen einer Seite beispielsweise Einsätze von Sprachsynthese, Zoomfunktion, Textgrößenunterschiede, andere Farbschemata, ein vereinfachtes Layout, bessere Kontraste oder vieles mehr anbieten. Die Geschäftsidee der Overlays basiert auf zwei weit verbreiteten Annahmen: dass eine Website ohnehin ohne Rücksicht auf Barrierefreiheit entwickelt werde und dass die nachträgliche Anpassung an Barrierefreiheit kostspielig sein müsse. Diese Annahmen stimmen aber nicht. Die günstigste Option ist nach wie vor, Barrierefreiheit als selbstverständliches, grundsätzliches Element in der Planung eines Webangebotes mitzudenken. Ein Problem bei den Overlays ist nämlich, dass sie naturgemäß nur generalisierte Lösungen für individuelle Anforderungen bieten können. Die Overlays zielen oft nur darauf ab, das zu schaffen, was Nutzer*innen mit Behinderungen mithilfe von ihren eigenen Hilfsmitteln sowieso erreichen. Gleichzeitig behindern aber die Overlays dadurch auch die Verwendung herkömmlicher Bedienungshilfen und werden somit ausschließlich zu Hürden.

Access Guide Magazin: Was sind die größten Stolpersteine auf dem Weg zu barrierefreien Internetseiten?

Fredrik Fischer: Der größte Fehler ist, dass man die Betroffenen im Designprozess nicht miteinbezieht. Dabei gäbe es genug Menschen mit dem entsprechenden Knowhow und Expertise. Einer unserer Partner ist die Initiative WACA (Web Accessibility Certificate Austria). Sie vergeben das erste und einzige Qualitätssiegel in Österreich um Barrierefreiheit im Web nach den internationalen W3C-Richtlinien nach außen hin erkennbar zu machen. Mit dem WACA Zertifikat wird die Erfüllung der Anforderungen hinsichtlich Barrierefreiheit im Web ausgezeichnet und den gesetzlichen Bestimmungen entsprochen. Leider kennen noch immer viel zu wenige Webdesigner diese Zertifizierungsstelle. Da gibt es noch viel Luft nach oben. Wer eine Website barrierefrei gestalten will, sollte sich auf alle Fälle von der WACA beraten und zertifizieren lassen.

Access Guide Magazin: Danke für das Gespräch.

Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen Österreichs