Sehnsucht Ferne

Ute Fuith

Die Teilnehmer*innen von Eranos, einem Projekt zur beruflichen Rehabilitation von Menschen mit psychischen Erkrankungen, widmen sich in den Sommermonaten dem Thema „Gehen“. Im Juni ging die Reise zurück zu besonders denkwürdigen Urlaubsereignissen.

Clara* wurde von ihren Eltern mit 10 Jahren ganz allein für zwei Wochen nach Holland geschickt: „Zu Bekannten, die ich gar nicht kannte. Mit dem Zug und meinem ganzen Gepäck. Anfang der 1980er Jahre gab es noch den eisernen Vorhang und zwei Grenzkontrollen. Einschüchternd waren die Zollbeamten, die – meiner Meinung nach – etwas überrascht waren, ein so junges Mädchen alleine reisen zu sehen. Mein Vater hatte alles gecheckt – Umsteigen in Würzburg, der Anschlusszug auf dem Nachbargleis. So weit so beruhigend – oder nicht? Ich war überfordert, hatte Angst. Ich hab mit meiner Analogkamera die Zeit überbrückt, das Rheintal so gut es mit meiner Nervosität ging, genossen. Die Fahrt dauerte bis in den Abend hinein, Utrecht erreichte ich bei Dunkelheit. Mein rotes Kopftuch musste ich aufsetzen, damit mich die Bekannten erkennen konnten.

Mein Zimmer war toll. Für mich alleine (herrlich!), im obersten Stock, Blick über die Straße in den Himmel, ein Kirchturm mit leuchtendem Zifferblatt nicht weit entfernt. Ich bin oft lange bei offenem Fenster und ausgeschaltetem Licht nur im Bett gestanden und habe in die Nacht geschaut. Die Gastfamilie war mir anfangs fremd. Gott sei Dank hat sich das bald gelegt. Die Frau des Hauses hat sich lieb um mich gekümmert. Ich war etwa gleich alt wie ihr 2. Sohn, der 1-2 Jahre davor gestorben war. Seine Fotos waren überall aufgehängt. Der ältere Sohn war 3 Jahre älter als ich und hat quasi kein Wort mit mir gewechselt. Der Jüngste war 3 Jahre alt (und untertags im Kindergarten), wir beide haben viel miteinander gespielt. Wir machten viele Ausflüge, ich hab das ruhige Leben ohne das übliche Gewusel meiner Geschwister und dem Alltag mit dem Job meines Vaters genossen und hatte Aufmerksamkeit nur für mich.

Die Rückfahrt wieder mit mulmigem Gefühl. Wieder Grenzkontrolle, wieder Umsteigen, wieder ein schwerer Koffer. In Frankfurt Zwischenstation, ich treffe meinen Vater, der beruflich dort ist. Er war stolz auf mich, dass ich wie vorgesehen alles geschafft hatte. Mein Vater spricht heute noch davon und darüber, wie stolz er war. Am nächsten Tag dann Heimfahrt. Wieder alleine, mit Gepäck, aber direkt nach Wien zurück. Ja, es war schön. Aber ich musste mich sehr verbiegen, meine Angst zu unterdrücken. Das „Lob“ und der „Stolz“ meiner Eltern hat das vermeintlich ausgeglichen“.

Einmal Italien und zurück

Toni* ist in einem Heim aufgewachsen. Jedes Jahr im Sommer gab es einen gemeinsamen Urlaub am Meer: „Um 8 Uhr in der Früh ging es los. Während der Fahrt durften wir Filme schauen, Nintendo spielen oder auch schlafen. Als wir dann nach circa fünf Stunden Fahrt eine Pause machten haben uns viele mit großen Augen angesehen, weil wir wie eine Riesenfamilie aussahen. Nach weiteren vier Stunden Fahrt haben wir endlich unser Ziel erreicht: Bibione in Italien. Als erstes haben wir unsere Sachen alle in unsere Hütten gebracht. Es gab Hütten für Mädchen oder Jungs und Zelte für die Kinder, die draußen schlafen wollten. Abendessen gab es immer so um 17.30 Uhr und ab 19 Uhr gingen wir alle in die Happy Disco wo man mitsingen und mittanzen durfte. Uns allen hat es immer einen Riesenspaß gemacht. Die nächsten Tage verbrachten wir hauptsächlich am Meer. Gegen Abend gingen wir zurück in unsere Hütten.  Während wir uns geduscht und fertig gemacht haben, kochten unsere Betreuer für uns. An anderen Tage spielten wir was gemeinsam oder gingen in die Stadt raus zum Bummeln. Und am letzten Tag vor der Abreise gingen wir immer schick essen in eine Pizzeria und hatten einen schönen Abend den wir gemeinsam genossen. Am Tag der Rückfahrt mussten wir schon um sechs Uhr früh aufstehen, weil der Bus der uns Heim brachte schon um halb acht wegfuhr. Es waren immer wieder schöne zwei Wochen, die wir genossen und von denen wir braun gebrannt heimkamen.

Am Meer © Ute Fuith

Am Meer © Ute Fuith

Unweit von Grado, in Jesolo machte Otto als Kind Urlaub mit seiner Mutter und deren bester Freundin: „Nach zahlreichen Recherchen fanden eine Unterkunft in einem großen Bungalow. Meine Mutter hatte damals noch einen türkisenen Daihatsu mit wenig Kraft – wie sich später herausstellte. Ihre Freundin hatte einen wirklich tollen Sportwagen. Während der Fahrt brach nach ungefähr der Hälfte der Streckte ein Teil des Auspuffs vom Daihatsu meiner Mutter ab. Nach einem Gespräch mit Begutachtung durch einen Mitarbeiter von einem Automobilklub konnte nur noch ein Totalschaden festgestellt werden. Die Freundin meiner Mutter, die bereits einige Kilometer weiter war, holte mich und meine Mutter von einem Rastplatz ab und nahm uns beide dann in ihrem sehr engen Sportauto nach Jesolo mit. Die Rückfahrt nach Wien erfolgte dann per Zug“.

Erste Flugreise

Zu den schönsten Reiseerlebnissen von Rüdiger* zählt „der erste und eigentlich auch einzige Familienurlaub auf Korfu, der Geburtsinsel meines Großvaters mütterlicherseits. Es war meine erste Flugreise und ausgerechnet diese endete auf einem der anspruchsvollsten Flughäfen der Welt. Als Passagier schaut man während der Landung aus dem Fenster und sieht ringsum nur das Meer, bis auf einmal wie aus dem Nichts die Landepiste auftaucht. Da diese auch noch relativ kurz ist und sehr nahe an einer Straße verläuft, muss wirklich alles punktgenau passen. Der Urlaub selbst dauerte drei Wochen. So hatten wir genug Zeit, Verwandte sowohl auf Korfu selbst, als auch in Athen zu besuchen. Wir sind mit der Fähre aufs Festland und von dort dann mit dem Bus weitergefahren. Es war ein ewig langer und ermüdender Trip, aber irgendwie auch sehr schön, da ich mich schon so sehr darauf gefreut habe, weitere Verwandte persönlich kennenzulernen. Natürlich durfte auch eine Besichtigung von Athen mitsamt der Akropolis nicht fehlen. So düster viele Erinnerungen an meine Kindheit und Jugend ansonsten sind, so leuchtend und strahlend hell sind jene an eben diesen einen Urlaub mit der Familie“.

Als Jugendliche verbrachte Maria* viele Familienurlaube auf Teneriffa: „Wir haben dort in einem gemieteten Haus für einen Monat gelebt. Der Flug dauerte circa eineinhalb Stunden, vom Flughafen fuhren wir mit dem Bus nach Punta del Hidalgo, einer kleinen Ortschaft am Atlantik. Unser Haus war ebenerdig, hatte fünf große helle Räume und einen Garten von dem man auf das Meer schauen konnte. Der Tagesablauf war sehr routiniert, da wir über längere Jahre Urlaub auf Teneriffa machten. Frühstück mit geliefertem Gebäck und Milch, dann ans Meer zum Schwimmen, nach einiger Zeit wieder zurück ins Haus, dann wieder schwimmen. Wir machten auch regelmäßig Ausflüge mit einem gemieteten Auto, trafen alte Bekannte, die wir dort über die Jahre kennengelernt hatten. Ich war eine Wasserratte und schwamm stundenlang im Meer. Eines meiner schönsten Erlebnisse war ein Schnorchelgang, bei dem mich die wunderschöne Unterwasserwelt in ihren Bann zog: Bunte Fische, Seeigel, unterschiedliche Gesteine. Als ich nach einiger Zeit auftauchte, bemerkte ich, dass ich sehr weit vom Strand entfernt war und schwamm wieder zurück“.

Nur ein kleiner Trip

Susanne* erinnert sich an einen Tagesausflug, den sie kurz nach ihrem 17. Geburtstag gemacht haben: „ Nach langem hin und her haben wir uns für Eisenstadt entschieden, es war leicht mit dem Zug zu erreichen und unsere Mutter gab uns ein paar Tipps, was wir dort unternehmen könnten. Also brachen meine Schwester und ich um acht in der Früh auf, um sehr verschlafen, den Zug am Hauptbahnhof rechtzeitig zu erwischen. Vollgepackt mit Proviant, bestehend aus Chips, Schokolade, einer großen Tupperdose voll mit frischen Himbeeren unseres Nachbarn, zwei Flaschen Wasser und einer Flasche Wein setzten wir uns zu einem Viererplatz mit Tisch, an welchem wir die halbe Fahrt Karten spielten und über Gott und das Leben philosophierten. Endlich angekommen wussten wir zuerst nicht in welche Richtung wir müssen aber ein nettes altes Pärchen hat uns den Weg zum Schloss Esterházy beschrieben. Dort angelangt hatten wir keine Lust mehr in das Schloss zu gehen, sondern lieber den Park dahinter zu erkunden. Wir gingen und gingen bis wir zu einer Orangerie kamen, nicht wissend was das überhaupt war, beschlossen wir Pause zu machen und unser Proviant zu essen. Als wir dort so saßen, blickte ich mich immer wieder um und beobachtete die vorbeigehenden Menschen als just in diesem Moment zwei kleine Mädchen circa 10 Meter hinter meiner Schwester gingen und etwas an einer Leine dabeihatten. Ich erwartete einen Hund am Ende der Leine zu erblicken aber, zu meinem Erstaunen hing dort ein kleines Schweinchen dran. Ich zerrte meine Schwester zu den Mädchen hin und wir fragten ob wir das Schweinchen streicheln dürfen. Wir durften und unterhielten uns ein wenig mit den beiden. Nachdem wir uns verabschiedet hatten, machten wir uns weiter auf den Weg in den Wald hinein. Und dort, mitten im Wald, fanden wir ein Stadion, welches sehr verlassen war und wohl schon seit mehreren Jahren keine Menschen gesehen hatte. Alles war verwachsen, sogar ein paar Rehe grasten auf der Wiese. Am Abend ging es mit dem Zug zurück nach Wien“.

Urlaub in den Bergen

Viktor* machte mit seiner Familie vor vielen Jahren Urlaub in Schladming: „Wir sind zusammen mit der Tante meines Vaters per Zug angereist. Vom Zug aus sind wir mit dem Taxi zum Haus der Freunde der Familie gefahren. Das Haus dieser Freunde war eine Frühstückspension. Meine Schwester und ich hatten uns ein Zimmer geteilt. Das Zimmer war mit einem Doppelbett einer Dusche einer Sitzecke und einem Balkon ausgestattet, was für uns Kinder ziemlich cool war, weil es uns das Gefühl gab, alleine zu wohnen. Morgens gab es Frühstück in der Pension und tagsüber haben wir Ausflüge gemacht. Einmal ging es auf die Planai. Damals hatte ich noch keine Höhenangst also hatte mir die Fahrt mit der Gondel keine Angst gemacht. Ich weiß noch, dass wir, obwohl es Sommer war, unsere Westen mitnehmen mussten, was sich später als klug herausstellen sollte, weil es oben ziemlich kalt war“.

In den Bergen © Ute Fuith

In den Bergen © Ute Fuith

Rebekka* erinnert sich ebenfalls an einen Urlaub in Österreich: „Jedes Jahr verbrachten wir Kinder die Sommermonate bei der Oma in Kärnten. Jährliches Zuammenpacken zum Schulschluss – Koffer einpacken mit Mama, ein Koffer und ein Zusatz Rucksack für persönliche Sachen – alle Sachen zum Auto bringen – Parkplatz vor dem Haus wurde rechtzeitig gesucht – Papa übernimmt das Einräumen ins Auto, damit alles hinein passt – logisches Schlichten ist angesagt. Die Abreise war meistens spät abends, damit wir nachts fahren oder sehr früh morgens – wegen dem Verkehr und damit wir Kinder die Fahrt gut überstehen – letzter Toilettengang und los geht es – die Fahrt dauerte vier Stunden plus. Während der Fahrt hat der Radiosender oft keinen Empfang gehabt und ist in Suchlauf gewesen – auch hat er in jedem Bundesland de Sender gewechselt – oftmals war ich froh darüber, aber dann haben meine Eltern versucht den Sender zu verstellen – die hatten einen unterschiedlichen Musikgeschmack. Während der Autofahrt wurde gelesen, gespielt oder gelernt. Es gab eine Toilettenpause. Ankunft bei Oma, Freude große Begrüßung. Vor dem Ausräumen des Autos hab ich mich oft davon geschlichen und mich auf die Suche nach der Katze Mia gemacht.  Ich habe mich auch die anderen Kinder gefreut, vor allem auf Wolfgang. Später sind meine Tante und meine zwei Cousinen dazu gekommen.  Nach einer kurzen Aufwärmphase des Kennenlernens haben wir uns gut verstanden. Die gemeinsamen Spiele waren meistens von meiner ältesten Cousine dominiert, ich war die Jüngste.“

Auf nach Berlin

Leo* erinnert sich an eine Städtereise nach Berlin und Hamburg: „Das war vor 2018. Ein Jahr davor hatte ich eine Freundin auf Instagram kennen gelernt. Wir haben uns gut verstanden und schließlich haben wir uns in Hamburg getroffen. Ich war ziemlich verliebt. Leider ist nichts aus der Geschichte geworden und ich bin ziemlich traurig heim gefahren. Ein jahr später war ich in Berlin. Dort habe ich mich im Computerspielmuseum in ein englischsprachiges Mädchen verliebt. Ich hab sie aber nicht angesprochen und mcih dann auf die Ausstellung konzentriert. In Berlin war ich mit meiner Mutter und meiner Oma, das Essen fand ich gut, Curry Wurst zum Beispiel. Es gab auch ein Curry Wurst-Museum. Gut gefallen haben mir auch die zahlreichen Pop Up-Food Märkte, auf denen es ziemlich ausgefallene Sachen zu essen gab, wie z.B. Halloumi-Burger und dergleichen. In Berlin habe ich auch den besten Döner Kebap meines Lebens gegessen. Meine Oma hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass mir die Mädchen nachschauen. Mir ist das aber gar nicht aufgefallen. In Berlin gibt es wahrscheinlich mehr Hipster als in Österreich, weil alles vile moderner ist. Ich würde gerne in Berlin wohnen, oder zumindest einmal wieder hinfahren“

Im Vergüngungspark

Als Ella* neun Jahre alt war, fuhr sie gemeinsam mit ihrer Familie nach Paris. Dort verbrachte sie drei Tage in Disneyland: „Bei der Ankunft gab es Streit wegen der Bettenverteilung, aber sobald wir Disneyland waren, war der Streit vergessen. Am meisten Spaß machte der Tower of Horror, der auf einer Folge von Twilight Zone beruht. Es war eine Art Hochschaubahn. Die Schneewittchen-Bahn hat mir Angst gemacht. Es war darin sehr finster und düster. Spaß hatte ich im Alice im Wunderland-Labyrinth. Ich war klein genug, um selbst bei den niedrigsten Türen ohne Ducken durch zu kommen. Meine Eltern hatten da große Probleme mir nachzukommen.  Abends waren wir jeden Tag im Gruselschloss. In der Indiana Jones-Bahn bin ich das erste Mal ein Looping gefahren. Insgesamt war es unser bester Familienausflug“.

Einen ganz anderen Eindruck von Paris hatte Ben*. Er war allerdings schon 18 Jahre alt, als er zum ersten Mal in seinem Leben in die französische Hauptstadt reiste: „Ich war zufällig zu einer größeren Summe Geld gekommen, kurz überlegt und dann mit der damaligen Freundin in den Zug. Etwa 16 Stunden Fahrt. Das erste Mal Paris, die Stadt meiner Sehnsucht, nur einen Stadtplan in der Hand. Zwei Tage des Sehens, oder eigentlich Flanierens – in Paris geht man nicht einfach nur. Ein teures Steak mit Dijon-Senf, eine Übernachtung auf den Steinbänken des Louvres, für Hotel kein Geld mehr da. Geweckt wurden wir von einer Messerstecherei in der Nähe, aber das spielte keine Rolle. Wir mussten wieder gehen, diesmal die ganze Rue de Rivoli hinauf und dann weiter zum Père-Lachaise, dem größten Friedhof von Paris, um Chopins Grab zu besuchen. Jim Morrison‘ ließen wir links liegen. Irgendwann Heimfahrt. Damals schmeckten die Gauloises noch gut.

Doris* verbrachte 1998 ihren ersten Urlaub ohne Eltern: „mit meinem damaligen Freund Joachim, die erste Beziehung nach meinem Autounfall, mit dem besten Freund meines Freundes, Karl und dessen Freundin Isolde, mein erster Flug mit der Austrian Airlines nach Griechenland, ich war voller Neugierde, es war wunderschön, über den Wolken, nach der Landung gleich mit dem Bus ins Hotel, ich war voller Freude und fühlte mich wohl, nach dem Einzug ins Hotel erkundeten wir gleich die nähere Umgebung und auch den Strand der nicht weit entfernt war, die 1. Woche verging wie im Flug, in der zweiten Woche hatte ich einen Moped Unfall und durfte dann aufgrund meiner Verletzungen nicht mehr schwimmen gehen, Ich verbrachte somit die letzten vier Tage des Urlaubs in der Hotelbar, Aufgrund der vielen Bekanntschaften die ich in diesem Hotel schloss, hatte ich trotz allem viel Spass, Abwechslung und einen schönen Urlaub”.

*Namen geändert