Erst denken, dann klicken

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Mimikama ist ein Verein zur Aufklärung über Internetmissbrauch und engagiert sich seit 2011 im Zeichen des Nutzer*innen-Schutzes. Im Posteingang der Rechercheplattform landen die unterschiedlichsten Anfragen: Von Fake-Shops im Internet bis hin zu Virenanhängen in E-Mails. Auch Hinweise auf Fake News und Verschwörungsmythen sind dabei.

PRF Andre Wolf

Andre Wolf ist Kommunikationsexperte, Pressesprecher, Content- und Social-Media-Koordinator bei Mimikama in Wien © Claudia Spiess

Nach Anschlägen oder Katastrophen kommt es zu einem kurzfristigen, meist jedoch starken Anstieg der Anfragen. Im Fahrwasser solcher Vorfälle tauchen häufig Falschmeldungen auf, die Unsicherheit schaffen. Mit Corona explodierte die Menge der Anfragen über mehrere Wochen lang. Andre Wolf von Mimikama erklärt im Interview, wie man in den unendlichen Weiten des Internets der Wahrheit auf die Spur kommt.

Access Guide Magazin: Der Fokus von Mimikamas Arbeit liegt in der Aufklärung rund um Internetmissbrauch, Internetbetrug und Falschmeldungen. Woher kommen Falschmeldungen eigentlich und was ist die treibende Kraft dahinter?

Andre Wolf: Im Grunde sehen wir drei Arten, wie sich Falschmeldungen generieren. Die an sich harmlose Basis aller ist der Fakt, dass in den sozialen Medien jeder Empfänger und Sender sein kann. Daraus ergibt sich, dass wir auch selbst entscheiden müssen, was falsch und wahr sein könnte. Die erste Gruppe an Falschmeldungen basiert auf falschen Intepretationen. Das sind zum Beispiel Warnungen vor Dingen, die gar nicht existieren, wie etwa weiße Lieferwägen, die Kinder entführen oder dergleichen. Bei solchen Missinterpretationen bekommen Menschen Angst, das ist nicht zu unterschätzen.

Der zweite Bereich ist jener der sogenannten Trollerei: Dabei haben Menschen Spaß daran, andere in die Irre zu führen. Das kommt wesentlich häufiger vor, als man denkt. Hier wird mit Überspitzung gearbeitet. Ein Beispiel davon liefert die falsche Traktorenmeldung aus dem Ukrainekrieg, in der behauptet wurde Traktoren würden Kriegsmaterial abschleppen. Es handelte sich aber nur um eine überspritze trollartige Satire. Der dritte Bereich sind die bewusst manipulativen Falschmeldungen. Sie sind vor allem gesellschaftspolitisch gefährlich, weil sie einseitig sind und gezielt mit Auslassungen arbeiten. Davon gab es währen der Corona-Pandemie sehr viele. Und es gibt sie auch beim Ukrainekrieg.

Access Guide Magazin: Warum finden vor allem in Krisenzeiten einfache Erklärungen so viele Fans?

Andre Wolf: Komplexe Krisen steigern auch das Bedürfnis nach einfachen Erklärungen. Weil es die aber nicht gibt, suchen viele Bestätigung im Netz: Menschen neigen dazu, Informationen so auszuwählen, zu suchen und zu interpretieren, dass diese die eigenen Erwartungen bestätigen. Dieser Bestätigungsfehler oder confirmation bias blendet Informationen aus, die eigene Erwartungen widerlegen könnten. Dazu kommt, dass gerade in Verschwörungstheorien Feindbilder aufgebaut werden, um die Wut zu kanalisieren.

Access Guide Magazin: Sind Medienverbote der richtige Weg, um Falschmeldungen im Internet einzudämmen? Oder ist das eine gefährliche Gratwanderung zwischen dem Recht auf freie Meinungsäußerung und Zensur?

Andre Wolf: Das müssten Politologen oder Juristen beantworten. Ich als Kommunikationsexperte bin grundsätzlich für ein Maximum an dem, was legal sagbar. Ich habe da eher einen bildungsromantischen Ansatz: Wir müssen lernen, zu erkennen, was falsch und was wahr ist.

Access Guide Magazin: Wie genau arbeitet Mimikama? Wie können Falschmeldungen entlarvt werden?

Andre Wolf: Wir haben auf unserer Website ein Formular über das Fakes gemeldet werden können. Die sammeln wir, ordnen sie nach Thema und Menge und je nach Relevanz geht es dann zur Recherche. Zu ruhigen Zeiten enthält der Posteingang von Mimikama im Schnitt 120 Anfragen am Tag. Da ist alles bunt gemischt. Von Fake-Shops im Internet bis hin zu Virenanhängen in E-Mails. Auch Hinweise auf Fake News und Verschwörungsmythen sind dabei. Nach Anschlägen oder Katastrophen kommt es zu einem kurzfristigen, meist jedoch starken Anstieg der Anfragen. Im Fahrwasser solcher Vorfälle tauchen häufig Falschmeldungen auf, die Unsicherheit schaffen. Mit Corona ist die Menge der Anfragen auf über 450 Anfragen am Tag über mehrere Wochen lang explodiert. Beim Ukrainekrieg gab es zu Anfang auch sehr viele Anfragen.

Access Guide Magazin: Die Verantwortung für hetzerische Inhalte in sozialen Medien wird von Plattformbetreiber*innen scheinbar nur zögerlich wahrgenommen. Warum ist das so? Wie könnte sich das ändern?

Andre Wolf: Da wird im Allgemeinen sehr gerne auf die Plattformbetreiber eingehauen. Aber man darf nicht vergessen, dass das wirtschaftliche Unternehmen sind, die auch so agieren. Das Hauptinteresse von Meta und Co. ist ganz einfach, dass die Menschen so lange wie möglich auf der Plattform bleiben. Das erreichen sie mit Unterhaltung und dazu gehören leider auch Falschmeldungen. Facebook blendet zwar ein, wenn eine Falschmeldung als solche identifiziert wurde. Aber das dauert meistens zu lange. Im Netz müsste man schnell – innerhalb von 24 Stunden – reagieren, rechtzeitig bevor Meldungen viral gehen.

Access Guide Magazin: Warum arbeiten Populisten bewusst mit Desinformationen?

Andre Wolf: Populisten lieben einfache Lösungen und Feindbilder. Aber die Welt ist nicht so einfach zu erklären, viele Sachen sind komplex. Der Populismus bietet scheinbar einfache Lösungen an. Dabei wird auch mit Narrativen, also Sinn stiftenden Erzählungen operiert, die uns bekannt vorkommen. Das ist das Gefährliche.

Access Guide Magazin: Welche Altersgruppen sind am meisten gefährdet auf Falschinformationen reinzufallen?

Andre Wolf: Grundsätzlich sind alle betroffen. Das Problem ist, dass wir durch die sozialen Medien zur Oberflächlichkeit trainiert werden. Plattformen wie Tic Toc zeigen das ganz deutlich. Da muss man innerhalb von drei Sekunden das Interesse der User wecken, sonst wird man weggewischt. Tic Toc ist gewissermaßen ein Tinder für Videos. Die kurze Aufmerksamkeitsspanne überträgt sich auch auf den Medienkonsum, im Boulevard sowieso, aber auch in seriösen Medien. Dieser Click Back ist an sich nicht schlimm, um Aufmerksamkeit zu generieren, aber der Inhalt muss am Ende passen. Es darf in der Schlagzeile nichts versprochen werden, was dann nicht im Artikel steht.

Access Guide Magazin: Fake-News scheinen seit Beginn der Pandemie eine Hochkonjunktur zu erleben. Gab es schon einmal ähnliche Situationen?

Andre Wolf: Das Phänomen ist nicht neu. Darüber habe ich auch in meinem Buch „Angriff auf die Demokratie“ geschrieben. Sobald ein Medium massentauglich wird, hat es das Zeug zur Propaganda. Das hat sich schon beim Buchdruck gezeigt. Da wurden erstmals viele Inhalte verbreitet, die davor keine Verbreitung hatten. Die Reformation hätte z.B. ohne den Buchdruck nicht so viel Chancen gehabt. Oder der Rundfunk: Sobald er massentauglich wurde, wurde er propagandistisch genutzt. Der Nationalsozialismus hat seine Botschaft  über die „Volksempfänger“ verbreitet, das waren billigste Geräte, aber eben massentauglich. Auch beim Fernsehen gab es eine ähnliche Entwicklung. Und das Internet ist erst mit der Erfindung der Smartphones richtig massentauglich geworden. Das ist alles erst in den vergangen zehn Jahren passiert. Es wird auch gezielt zur Desinformation genutzt, sei es in Bezug auf die Klimakrise oder die Flüchtenden im Mittelmeer oder eben die Coronopandemie. Bei jeder großen Krise radikalisieren sich auch die Inhalte.

Access Guide Magazin: Shitstorms werden in allen politischen Lagern losgetreten. Warum ist der Umgangston im Internet so rau? Was kann man dagegen tun?

Andre Wolf: Zur Entstehung gibt es verschiedene Aspekte. Da sind einmal die Shitstorms die im Universum der political correctness losgetreten werden. Häufig sind das Empörungen über kleinste Fehltritte. Dann gibt es die anderen, die einzelne Menschen im Privaten betreffen mit Beschimpfungen. Im Netz sind die Hürden niedriger, weil man die andere Person nicht sehen kann. Noch sicherer fühlen sich Leute, wenn sie sich hinter einem Avatar verstecken. Bei den Shitstorms geht es auch darum, den politischen Willen eines Anderen zu brechen. Es gibt Gruppen die suchen gezielt nach Meldungen, um Personen auszuschalten. Sie drohen und belagern so lange, bis die Zielperson ihre Accounts schließt. Betroffen davon sind häufig Frauen, denen nicht selten mit Vergewaltigung gedroht wird. Das ist extrem gefährlich. Das Ziel von Mimikama ist es Menschen in ihrem politischen Willensbildungsprozess zu stärken und zu begleiten.

Access Guide Magazin: Wie kommt man aus Informationsblasen raus?

Andre Wolf: Mitunter werden die Blasen überschätzt. Es ist ja so, dass wir uns im Netz erstmal die Inhalte nach unseren Interessen selbst suchen. Da spielt auch die eingangs erwähnte Confirmation Bias eine Rolle: Ich klicke die Meldung an, von der ich ausgehe, dass ich eine Bestätigung finde. Wenn man in eine Blase hineingeraten ist, kann man sich befreien, indem man selbst erkennt: Vorsicht, das sind radikale Inhalte, ich sollte auch bei anderen, seriösen Seiten suchen und dort schauen, wie berichten die darüber.

Access Guide Magazin: Wie kann man sich vor Falschmeldungen schützen, gibt es da einfache Tipps?

Andre Wolf: Bei dramatischen Inhalten ist es immer gut, sich kurz zurücklehnen und die Sache nüchtern zu prüfen. Nur so lässt sich einer Falschmeldung überhaupt auf die Spur kommen. Da hilft Selbstreflektion. Oft sind nur ein paar Schritte nötig: Man klärt: Was habe ich an Informationen vorliegen? Woher kommen diese? Gibt es auch seriöse Quellen dazu? Sind Bilder im Spiel hilft auch da eine Bildrecherche, denn nicht selten werden Bilder völlig aus dem Zusammenhang gerissen.

Access Guide Magazin: Danke für das Gespräch!

Links: Mimikama, Angriff auf die Demokratie