Fragiles Zusammenspiel

Foto von Anastasia Shuraeva von Pexels

Die Psychosomatik beschäftigt sich mit der Wechselwirkung von Körper und Seele. Sie untersucht, wie sich psychische Einflüsse auf den Körper auswirken und körperliche Erkrankungen psychische Prozesse beeinflussen.

Nora* leidet seit mehr als acht Jahren unter heftigen Schmerzen im ganzen Körper. Die Wienerin hat eine wahre Odyssee an Besuchen bei Ärzten, in Labors und Kliniken hinter sich. „Eine körperliche Ursache für meine Schmerzen konnte bislang nicht gefunden werden“, sagt die 44-Jährige. Als Diagnose wurde ihr erklärt, ihr Leiden sei „psychosomatisch bedingt“. Um ihre „chronische Schmerzstörung“ in den Griff zu bekommen, macht Nora* seit einem halben Jahr eine Verhaltenstherapie: „Mir geht es langsam besser – ich traue mich jetzt mehr Bewegung in meinen Alltag einzubauen. Der Schmerz bestimmt nicht mehr alles, sondern tritt an manchen Tagen sogar in den Hintergrund“, erzählt Nora. Auch ihre Depressionen, die aus dem Leben mit ihren Schmerzen resultieren, seien besser geworden.

Manuela Schagerl

Manuela Schagerl, Consana Zentrum © Mirjam Reither

Wie Nora leiden in Österreich rund 20% der Erwachsenen an chronischen Schmerzen mittlerer bis starker Intensität**. In Summe sind das 500.000 bis 600.000 Menschen. „Die frühzeitige Einbindung von verhaltenstherapeutischer Schmerztherapie in ein multimodales Behandlungskonzept wäre für diese PatientInnen wichtig“, empfiehlt Manuela Schagerl vom Consana Zentrum in Wien: „Die Verhaltenstherapie bietet neben der einfühlsamen Gesprächsführung viele Methoden für SchmerzpatientInnen wie beispielsweise Aufmerksamkeitslenkung, Wahrnehmungsschulung, Verhaltensexperimente, Entspannungs- und Achtsamkeitsmethoden, Imagination, Psychoedukation oder Schmerzbewältigungsgruppen. Das übergeordnete Therapieziel dabei ist die Verbesserung der Lebensqualität der PatientInnen“, so Schagerl.

Wechselwirkung  Körper und Seele

Psychosomatische Erkrankungen können vielfältige Ursachen haben. Ihre Entstehung wird durch genetische, biologische, soziale und psychische Aspekte beeinflusst. Werden etwa seelische Überbelastungen nicht ausgeglichen, kann es zu Erkrankungen oder Funktionsstörungen von Organen kommen. Aber auch körperliche Erkrankungen können das Seelenleben stark beeinflussen.

Als Begründer der Psychosomatik gilt Thure von Uexküll. Der deutsche Mediziner führte Mitte des vorigen Jahrhunderts den Begriff des „biopsychosozialen Systems“ ein. Darin wird der Zusammenhang von biologischen und psychischen Funktionen beschrieben.

Heute definiert die Österreichische Gesellschaft für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin Psychosomatik als „die Wissenschaft und Heilkunde von den wechselseitigen Beziehungen psychischer, sozialer und körperlicher Vorgänge in ihrer Bedeutung für Gesundheit und Krankheit von Menschen. Sie befasst sich mit leib-seelischen Vorgängen im Gesunden und Kranken, zeigt sich in einer bio-psycho-öko-sozialen Grundhaltung und betrifft die Allgemeinmedizin ebenso wie alle medizinischen Fachrichtungen“. Immer dann, wenn seelisch-emotionales Unbehagen, wie Angst, Depression, Burn-Out oder belastende soziale Situationen, wie Mobbing, Beziehungskrisen oder körperliche Erkrankungen und Behinderungen Stress erzeugen und Schmerzen, Beschwerden sowie Kranksein verursachen oder verschlechtern, ist Fachwissen der Psychosomatik gefragt.

Angebote für Betroffene

Das Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern in Wien bietet ein individuell zusammengesetztes Programm für die Behandlung von psychosomatischen Störungen. „Bei uns kann die psychotherapeutische Behandlung im Einzelsetting oder im Gruppensetting stattfinden. Sehr wichtig für die Behandlung ist eine stabile psychotherapeutische Beziehung“, sagt Larisa Dzirlo. Sie ist Ärztin für Psychosomatische Medizin bei den Barmherzigen Schwestern in Wien. „Für die Entstehung der psychosomatischen Erkrankungen sind biologische und psychosoziale Faktoren verantwortlich. Es muss eine bestimmte „Vulnerabilität“ für die Entstehung der PS Erkrankung vorliegen. Nach neuerer Forschung spielt die Genetik auch eine wichtige Rolle. Zusätzlich können schwere körperliche Erkrankungen auch Auslöser für die Entstehung einer psychosomatischen Erkrankung sein. Als psychosoziale Faktoren können verschiedene frühe negative Erlebnisse in der Kindheit sowie Persönlichkeitsmerkmale, wie z.B. „vermeidende“ oder „ängstliche“ Bindungsmuster, strukturelle Defizite oder die mangelnde Fähigkeit, eigene Impulse, Affekte und den Selbstwert zu steuern, die Entstehung psychosomatischer Erkrankungen begünstigen“, erklärt die Arztin.

Heilmittel aus der Apotheke

Die gegenseitige Einflussnahme von Körper und Psyche spielt nicht nur in der Medizin und Psychotherapie, sondern auch in der Pharmazie eine wichtige Rolle. Als einer der häufigsten Auslöser für psychosomatische Erkrankungen gilt Stress und Überforderung. „Arzneimittel sind aber nicht die richtige Lösung zur Stressbewältigung“, ist Bernhard Ertl überzeugt. Der Pharmazeut arbeitet in der Pharmazeutischen Abteilung der Österreichischen Apothekerkammer. Es gebe aber rezeptfreie Heilmittel die speziell auf die Harmonisierung von Körper und Psyche abzielen. Dazu zählen die sogenannten Phytopharmaka. „Rosenwurz ist beispielsweise zur Linderung körperlicher und geistiger Symptome bei Stress und Überarbeitung zugelassen. Auch Ginseng und Taigawurzel kommen in Frage oder pflanzliche Beruhigungsmittel wie Baldrian, Hopfen, Passionsblume, Melisse oder das pflanzliche Antidepressivum Johanniskraut“, so der Pharmazeut.

Adressen:

Consana, Zentrum für psychosoziale Gesundheit & Entwicklung

ÖGPPM, Österreichische Gesellschaft für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin

Barmherzige Schwestern Krankenhaus Wien, Fachklinik für den gesamten Verdauungstrakt und urologischen Bereich, Onkologie und Psychosomatik

Beratung und Hilfe für Menschen mit psychosomatischen Beschwerden

* Name von der Redaktion geändert. ** Quelle: Schmerzbericht Wien 2018, MA 24