Fragen der Identität

Jean David Nkot www.Les reines@des mines.org 2021 © Courtesy Afikaris Gallery and the Artist Foto Jorit Aust 1

Die Kunsthalle Krems versammelt in der Gruppenausstellung „The New African Portraiture. Shariat Collections“ führende figurative Künstler:innen afrikanischer Herkunft. Sie nehmen den afrikanischen Kontinent und die Diaspora in den Blick und setzen sich mit komplexen Fragen der Identität, Ästhetik und Kunstgeschichte auseinander. Ihre fesselnden Porträts laden dazu ein, sich mit der oftmaligen Fehldarstellung oder dem Übergehen Schwarzer Menschen in der westlichen Maltradition zu befassen.

Impulsgebend für die Schau in Krems war die Ausstellung „Le modèle noir de Géricault à Matisse“ im Musée d’Orsay. Sie thematisierte den Schwarzen Körper in der Malereigeschichte von 1800 bis zur Klassischen Moderne – zumeist marginalisiert und an den Rand gedrängt, mit eurozentristisch-kolonialistischem Blick. Zentrales Werk war das Porträtbild „Madeleine“ von Marie-Guillemine Benoist, das sich seit 1818 im Besitz des Louvres befindet und das einzige Porträtgemälde einer Schwarzen Person dieses Museums ist. Es ist ein Sinnbild für Emanzipation und Empowerment der Black Identity.

„Zentrales Anliegen der Ausstellung in der Kunsthalle Krems ist es, das ‚Schwarze Porträt’ in der zeitgenössischen afrikanischen Malerei, als Zeichen für Black Identity, ins Rampenlicht zu rücken“, erläutert Florian Steininger, künstlerischer Direktor der Kunsthalle Krems. Bereits 2020 zeigte die Kunsthalle Krems mit Robin Rhode eine südafrikanische Position. Der Künstler teilte sich mit Alexandre Diop, der in der aktuellen Ausstellung vertreten ist, ein Studio. Im Zuge der Ausstellungskonzeption lernte Florian Steininger auch den Sammler Amir Shariat kennen.

„The New African Portraiture. Shariat Collections“ ist die erste Ausstellung über zeitgenössische afrikanische figurative Malerei in Europa. Kuratiert wird die Schau von Ekow Eshun. Er ist Experte für zeitgenössische afrikanische Kunst, insbesondere für Porträtfotografie und Malerei. In der Hayward Gallery in London war bis vor kurzem die von ihm kuratierte Ausstellung „In The Black Fantastic“ über Afrofuturismus zu sehen.

Eshun selbst hat familiäre Wurzeln in Ghana, worüber er in seinen Memoiren „Black Gold of the Sun“ spricht. Er schreibt für zahlreiche Kunstmagazine, ist ehemaliger Direktor des Institute of Contemporary Arts London und Vorsitzender der Fourth Plinth Commissioning Group. Seine Beiträge zu Künstler:innen wie z. B. Mark Bradford, Chris Ofili, Kehinde Wiley, John Akomfrah und Wangechi Mutu erschienen u. a. in der New York Times, Financial Times, im Guardian, Observer oder Independent. Seine Publikationen „Africa State of Mind“ und „Black Gold of the Sun“ wurden für den Lucie Photo Book-Preis bzw. den Orwell-Preis nominiert. „Mit Ekow Eshun ist es uns gelungen, eine Koryphäe der afrikanischen Gegenwartskunst als Kurator für diese Ausstellung zu gewinnen“, so Florian Steininger.

Im Westen dominierten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Abstraktion und Konzeptkunst, die Figuration geriet in den Hintergrund. In Afrika hat die figurative Malerei ihre zentrale Rolle immer beibehalten. Im vergangenen Jahrzehnt fand unter afrikanischen Künstler:innen allerdings ein bemerkenswerter Umschwung statt. Das Figurale bleibt weiterhin zentral, die Herangehensweise zeigt aber zunehmend ein Bekenntnis zu Kühnheit und zum Imaginativen.

Die fesselnden Porträts in „The New African Portraiture. Shariat Collections“ präsentieren eine große Bandbreite an malerischen und bildnerisch-collagehaften Beiträgen. Die durch Tapetenornamente erweiterten Porträts von Amoako Boafo zeigen selbstbewusste Charaktere in trendiger Kleidung. Die Malerin Millicent Akweley feiert ihr ghanaisches Erbe mit kraftvollen, von Patchwork inspirierten lebensgroßen Gemälden. Everlyn Nicodemus verarbeitet in ihren Porträts ihre persönlichen Traumata.

James Mishio Second Lense II 2022 © The Artist Courtesy The Shariat Collections Foto Jorit Aust

James Mishio Second Lense II 2022 © The Artist Courtesy The Shariat Collections Foto Jorit Aust

Cornelius Annor, dessen Werke für die Ausstellung zum Teil während seiner Zeit als Artist in Residence in Krems entstanden sind, liefert evokative Momentaufnahmen des ghanaischen Alltagslebens. Der in Wien lebende Alexandre Diop konstruiert komplexe Assemblagen aus  weg geworfenem Material. Die südafrikanische Künstlerin Turiya Magadlela gestaltet Porträts, die Ölmalerei mit Näh- oder Stickarbeit verbinden. James Mishio experimentiert als Mixed-Media-Künstler mit verschiedensten Medien und Materialien und erkundet dabei das menschliche Wesen.

„Die Ausstellung zeigt die spannende Diversität der Zugänge auf, die Künstler:innen zu dem Erbe der afrikanischen Figuration finden. Durch die Vielfalt der Ansätze sehen wir die gelebte Erfahrung afrikanischer kultureller Identität auf dem Kontinent und in der Diaspora als ein Tableau von Möglichkeiten.“

In Afrika geborene Künstler:innen wie Amoako Boafo und Otis Kwame Kye  Quaicoe aus Ghana oder Tesfaye Urgessa aus Äthiopien verleihen der  figurativen Malerei fesselnde Dringlichkeit sowie eine große Bandbreite an Möglichkeiten im künstlerischen Ausdruck. Boafos lebendige Porträtbilder haben ihm einen besonderen Aufstieg beschert. Die Ausstellung zeigt eine Reihe jüngerer Künstler:innen, darunter James Mishio aus Ghana oder Josie  Love Roebuck aus den USA, Seite an Seite mit älteren Vertreter:innen wie Everlyn Nicodemus und Kimathi Donkor aus dem Vereinigten Königreich oder Basil Kincaid und Christopher Myers aus den USA.

Basil Kincaid Kenturah Davis 2021 2022 © The Artist Courtesy The Shariat Collections Foto Jorit Aust

Basil Kincaid Kenturah Davis 2021 2022 © The Artist Courtesy The Shariat Collections Foto Jorit Aust

Die Schau in Krems unterstreicht, wie afrikanische Künstler:innen trotz  mangelnder staatlicher Finanzierung Möglichkeiten zur Entfaltung finden. Kulturschaffende aus diversen Sparten erzielen große Erfolge auf der internationalen Bühne. Es sind kollektive Anstrengungen einer aufstrebenden Künstler:innengeneration, die darauf beharrt, die afrikanische Präsenz in der zeitgenössischen Kultur sichtbar und hörbar zu machen.

Die in der Ausstellung gezeigte Kunst stammt bis auf ein Gemälde, das dem ehemaligen Fußballprofi und TV-Moderator Michael Ballack gehört, aus der Sammlung von Amir und Shahrokh Shariat. Die Ausstellung „The New African Portraiture“ ist noch bis 10. April 2023 in der Kunsthalle Krems zu sehen.