Schrill und bunt

franz gertsch irene 1980 c olbrichtcollection

Die 1980er sind das Zeitalter des Neoliberalismus, der nun endgültig in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft angekommen ist. Margaret Thatcher und Ronald Reagan regieren mit konservativen Kräften den anglo-amerikanischen Raum. Das Aufkommen der ersten PCs, von Videospielen, Globalisierung, der Öffnung der nationalen Grenzen und steigende Mobilität suggerieren eine Welt in relativer Harmonie. Kino-Besucherrekorde, technischer Fortschritt und die Verlockungen des Konsums versprechen eine rosige Zukunft. Auch vom Ende der Geschichte, einem saturierten, westlich dominierten Weltbild ist da und dort die Rede. Aber das Ende des Zweiten Weltkrieges ist nur ein junges Menschenleben entfernt. Nach vorne drängt eine Generation, die genug vom Nachkriegsmuff hat. Eine Generation, der Wohlstand und Gemütlichkeit keineswegs genügen. Wer sich nicht zu sehr ablenken lässt, erkennt eine Welt im Ost-West-Konflikt, spürt den Druck der permanenten atomaren Aufrüstung oder ist durch die Friedensbewegung und die deutsche Wiedervereinigung geprägt. Es ist ein Jahrzehnt der Rebellion, aus den Radios ertönt Elektromusik mit sinnlosen Texten, Wave und Punk zeigen der Gesellschaft offen ihren Unmut. Aus dem Untergrund erwächst eine Avantgarde, die experimentiert, in Frage stellt und einen Spiegel vorhält.

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Bear and Policeman © Jeff Koons

In der Ausstellung „The 80s“ präsentiert die Albertina Modern über 160 Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern, die nicht nur dieses Jahrzehnt bestimmten, sondern deren Schaffen weit in die Kunst des 21. Jahrhunderts vorausreicht. Die Kunst der 1980er ist bunt und facettenreich. Sie ist vieles, aber niemals langweilig. In den Achtzigerjahren wurde plötzlich alles möglich. Die großen gesellschaftlichen und politischen Umbrüche sind auch in der Kunst deutlich sichtbar. Künstlergruppen brechen mit dem fest gefahrenen Kunstbetrieb, entthronen die Avantgarde: Die „Jungen Wilden“ entdecken die bildende Kunst neu und stellen – ebenso selbstbewusst wie gesellschaftlich engagiert – unter dem Begriff „Heftige Malerei“ aus.

Zelebrierung der Vielfalt

Nicht eine Geschichte, sondern viele kleine Erzählungen bestimmen die 1980er-Jahre. Vielfalt im Denken und Handeln, Wissen und Glauben haben Hochkonjunktur. Grenzerweiterungen in vielerlei Hinsicht und Vernetzung gehören zu den wesentlichen Kennzeichen dieser Zeit. Die 80er Jahre waren ein Versuchslabor, das auch vor Kitsch und Pathos keinerlei  Berührungsängste kannt. Mehr noch: Als sicheres Zeichen von Selbstreflektion, vielleicht auch als Augenzwinkern, wird der Finger dorthin gelegt, wo sich die massentauglich inszenierte Gesellschaft etwas zu ernst nimmt. In der bildenden Kunst macht sich das „Anything Goes“ des anarchistisch denkenden Österreichers Paul Feyerabend durch stilistischen Reichtum bemerkbar. Der sogenannte Hunger nach Bildern, der diese Dekade einläutete und sich in den expressiven Gesten der Jungen Wilden auf großformatigen Leinwänden widerspiegelt, ist nur als Gegenbewegung zu den minimalistischen und konzeptuellen Strömungen der 1960er- und 1970er-Jahre verständlich. Die 1980er-Jahren, die von Jeff Koons und Jenny Holzer über Jean-Michel Basquiat und Keith Haring bis zu Cindy Sherman und Richard Prince reichen, sind die Wiege der Kunst von heute. Fragen der Aneignung und der Autorschaft werden genauso diskutiert wie Kritik an der Konsumkultur. Das Oeuvre von österreichischen Kunstschaffenden wie Brigitte Kowanz und Erwin Wurm über Herbert Brandl und Maria Lassnig bis zu Franz West und Peter Kogler gliedert sich in der Ausstellung mühelos in den Kanon eines internationalen Staraufgebots ein. Vertreten sind u.a. Jean Michel Basquiat, Jeff Koons, Keith Haring, Robert Longo, Cindy Sherman, Sherrie Levine und Jenny Holzer. Ihre Kunst bezeichnet einen wichtigen Wendepunkt in der jüngeren Kunstgeschichte.

Die Ausstellung ist bis 13. Februar 2022 in der Albertina Modern zu sehen.

Bild oben: Irène, Franz Gertsch, Olbricht Collection © Franz Gertsch