Sucht oder Segen

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Ständig online, immer erreichbar –  alle 18 Minuten schauen Smartphonebesitzer nach, ob neue Nachrichten eingegangen sind. Wo aber hört “normale” Nutzung auf und wo fängt Sucht an? Dr. Oliver Scheibenbogen erklärt im Interview, wann Smartphoneabhängigkeit zur realen Bedrohung wird. Der Gesundheitspsychologe ist Leiter des Bereichs Klinische Psychologie am Anton Proksch Institut in Wien und Gründungsmitglied und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Sozialästhetik und Mental Health an der Sigmund Freud Universität Wien.

Access Guide Magazin: Wie viel Zeit verbringen Erwachsene hierzulande am Smartphone?

Oliver Scheibenbogen: Laut einer Smartphone-Studie in Deutschland, die Christian Montag von der Universität Ulm 2016 veröffentlicht hat, verbringen wir zweieinhalb Stunden pro Tag am Smartphone. Im Durchschnitt schaut jeder Smartphone-User alle 18 Minuten auf´s Handy. Die Art des Konsums ist vielschichtig und hat viele Funktionen – wobei es meist zu einer Vermischung von Beruflichem und Privatem kommt. Das Smartphone dient als Navigationsgerät, oder um die sozialen Netzwerke wie Instagram und Facebook aufzusuchen, um Mails zu checken, aber auch um Spiele zu spielen.

Access Guide Magazin: Wann ist der Smartphone-Konsum bedenklich?

Oliver Scheibenbogen: Gefährlich wird es dann, wenn durch die „Übernutzung“ andere Aktivitäten, wie zum Beispiel Hobbies, in Mitleidenschaft gezogen werden und zu kurz kommen. Eine negative Konsequenz ist auch der Rückzug aus der sozialen Kommunikation. Das kann sich sowohl beruflich, als auch privat niederschlagen. Ein Warnhinweis ist auf alle Fälle, wenn Kritik von außen kommt. Wenn einem der Partner oder die Kinder sagen, dass man zu viel Zeit am Smartphone verbringt und nicht mehr richtig ansprechbar ist, sollte man das ernst nehmen.

Access Guide Magazin: Welche Art von Smartphone-Usern gibt es?

Oliver Scheibenbogen: Prinzipiell gibt es aktive und passive Nutzer. In letzterem Fall schauen sich die Menschen nur noch die Welt der anderen an und kommunizieren gar nicht mehr. Das ist aber gefährlich, weil einem in den sozialen Netzwerken eine perfekte Welt vorgegaukelt wird. Durch die Diskrepanz zum „schönen“ Leben im Netz, verschiebt sich aber das Selbstwertgefühl ins Defizitäre. Dieser fehlende Bezugsrahmen zur realen Welt kann langfristig depressiv machen.

Access Guide Magazin: Gibt es die Smartphone-Sucht schon als klar definiertes Krankheitsbild?

Oliver Scheibenbogen: Noch nicht. Im Diagnose Manual ICD 10, der Internationalen Klassifikation der Krankheiten der Weltgesundheitsorganisation wird es nicht beschrieben. In der 11er Version des ICD ist zumindest die Computerspielabhängigkeit als Krankheitsbild im Rahmen der abnormen Verhaltensweisen anerkannt. Diese Version tritt aber erst 2020 in Kraft. Die Smartphone-Abhängigkeit ist ja ein relativ neues Phänomen und es gibt dabei auch andere Parameter, wie zum Beispiel die ständige Verfügbarkeit. Dennoch ist die Smartphone-Sucht bereits ein Forschungsgegenstand der Psychologie. Die steigende Zahl – vorwiegend jugendlicher Abhängiger – zeigt auch, wie notwendig das ist.

Access Guide Magazin: Was passiert mit unserem Gehirn durch intensive Handy-Nutzung?

Oliver Scheibenbogen: Mittlerweile konnte wissenschaftlich nachgewiesen werden, dass die intensive Nutzung eines Smartphones nicht nur das soziale Verhalten von Menschen ändern kann, sondern dass dadurch auch die Erregbarkeit des sogenannten präfrontalen Cortex reduziert wird. Dieser Teil des Gehirns empfängt sensorische Signale, wirkt hemmend auf unsere Emotionen, lässt uns kontrolliert und vorausschauend handeln. Bei einem exzessiven Smartphone-Konsum kommt es zu einer Über-Erregung des präfrontalen Cortex. Studien haben gezeigt, dass dabei auch gesunde Probanden ähnliche Symptome ausbilden, wie Patienten, die am Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom ADHS leiden: Konzentrationsschwäche oder gestörte Impulskontrolle. Wenn Mütter ständig ihr Smartphone nutzen während sie stillen, läuft die Bindungsphase nicht optimal ab, es fehlt das innige Miteinander. Kinder und Jugendliche, die bereits mit dem Smartphone aufgewachsen sind, haben oft nicht gelernt „face to face“ zu kommunizieren. Ihnen fehlt die Fähigkeit in den Gesichtern der Anderen zu lesen und es kann Probleme in der sozialen Interaktion geben.

Access Guide Magazin: Welche Personen sind besonders anfällig für Smartphone-Abhängigkeit?

Oliver Scheibenbogen: Das betrifft mehrere Gruppen. Dazu gehören die sozial Unsicheren, die einen hohen Grad an Ängstlichkeit aufweisen, die von der „Face to face“-Welt überfordert sind und deshalb lieber alles online oder digital machen und sich gerne in sozialen Netzwerken aufhalten.

Dann gibt es die impulsiven Menschen, die z.B. in sozialen Medien posten, wenn sie es eigentlich nicht sollten und das danach oft bedauern.

Und viele sind auf der Suche nach „Sensationen“, beispielsweise durch „Sexting“ – das Verschicken und Tauschen von eigenen Nacktaufnahmen. Das ist ein sehr riskantes Muster, man weiß nie, was mit den Daten eigentlich passiert. Andere holen sich den Kick durch Onlinespiele, bei denen man sich in den unterschiedlichen Benutzergruppen austauschen kann. Das Online-Spiel wird so oft zum Ersatz für die reale Welt.

Access Guide Magazin: Wie viel Offline-Zeit sollte man sich selbst verordnen?

Oliver Scheibenbogen: Im Sinne der viel zitierten „Work-Life-Balance“ ist es empfehlenswert, sich das eigene Smartphone Nutzungsverhalten genau anzuschauen. Die diversen Handy-Hersteller bieten hier zwar schon Möglichkeiten der Nutzungskontrolle an, aber ich halte es für besser, das selbst in die Hand zu nehmen. Ständige Verfügbarkeit oder die „Angst, etwas zu verpassen“ erzeugen nämlich ungeheuren Stress – das kann mitunter Richtung Burn-Out gehen. Da sollte man sich Strategien überlegen und das Firmenhandy z.B. abends ausschalten. Sind Kinder und Jugendliche im Haushalt, ist es gut, wenn gewisse Handy-freie Zeiten definiert werden – z.B. beim Abendessen.

Access Guide Magazin: Wie kann man Jugendlichen eine zeitweilige Handy-Abstinenz schmackhaft machen?

Oliver Scheibenbogen: Als Elternteil muss ich den Kindern auch in der realen Welt schöne Erlebnisse schaffen und die Kinder zum Beispiel ermuntern in Vereine zu gehen oder sie dabei unterstützen einen eigenen Freundeskreis aufzubauen. Das sollte aber keinen Service-Charakter bekommen. Wenn man in der Freizeit etwas Schönes gemeinsam unternimmt, dann sehen die Kinder, dass es auch ein Leben in der realen Welt gibt. Es ist besser, positive Signale zu senden, als ausschließlich mit Verboten zu operieren.

Access Guide Magazin: Wie hat sich unser Sozialverhalten durch den übermäßigen Smartphone-Gebrauch geändert?

Oliver Scheibenbogen: Das ist ein Thema, zu dem es noch sehr wenige Studien gibt. Aber wenn man sich im öffentlichen Bereich bewegt, kann man beobachten, dass die Menschen eigentlich nicht mehr ansprechbar sind. Durch die permanente Bindung ans Smartphone werden Zufallsbegegnungen immer unwahrscheinlicher. Für die Kontaktaufnahme ist es wichtig, dass ich die Bereitschaft aussende, ansprechbar zu sein. Diejenigen, die sozial unsicher sind, werden durch die Omnipräsenz der digitalen Welt noch isolierter. Ein bewusster Umgang mit dem Smartphone hilft dabei. Man kann während einer U-Bahn-Fahrt durchaus sein Handy benützen, aber ab und zu die Leute anschauen schadet sicher nicht.

Access Guide Magazin: In sozialen Netzwerke kursieren auch jede Menge Fake-News und viele gehen damit vollkommen unreflektiert um. Könnte ein Unterrichtsfach „Medienkompetenz“ an unseren Schulen mehr Durchblick bringen?

Oliver Scheibenbogen: Medienkompetenz wird an unseren Schulen immer noch zu wenig vermittelt. Das gilt auch für einen Ethikunterricht, der damit einhergehen müsste. Momentan gehen die meisten Initiativen diesbezüglich von Elternvereinen aus. In den Schulen selbst gibt es wenige Inhalte dazu. Es gibt zwar immer mehr Tablet-Klassen, aber die Hardware allein schafft noch keine Kompetenzen, vor allem keine sozialen.

Eine große Herausforderung der Zukunft wird sein, auf die Flut von bereits gefilterten Informationen unsere eigenen Filter anzuwenden.

Access Guide Magazin: Wann ist von einer Smartphone-Sucht zu sprechen und was kann man dagegen tun?

Oliver Scheibenbogen: Da gibt es wie bei allen anderen Süchten auch ganz klare Kriterien, z.B. Kontrollverlust: wenn ich mir vornehme, weniger Zeit am Smartphone zu verbringen und es trotzdem nicht schaffe, ist das ein Warnsignal. Weitere Anzeichen sind Dosissteigerung, die Angst etwas zu verpassen, aber auch Gereiztheit oder Entzugserscheinungen.

Die Smartphone-Sucht hat wie alle Verhaltenssüchte die Schwierigkeit, dass es keine totale Abstinenz gibt. Beim Alkohol ist das vergleichsweise „einfacher“: Ganz oder gar nicht fällt uns generell leichter als eine reduzierter Konsum.

Am Anton Proksch-Institut arbeiten wir mit einem sogenannten Ampel-Model: Grün ist erlaubt – im Fall des Smartphones wäre das Telefonieren oder Navigieren.

Gelb steht für das Risiko eines Rückfalls, das könnte im Fall eines Smartphone-Abhängigen z.B. das Verwenden von „WhatsApp“ sein.

Online-Spiele am Handy sind im roten Bereich. Wir versuchen, die Patienten dabei zu begleiten. Wie bereits erwähnt, ist es sinnvoller, selbst Regeln für die Handy-Nutzung aufzustellen, als sie dem Hersteller zu überlassen.

Access Guide Magazin: Wer ist von Smartphone-Abhängigkeit betroffen.

Oliver Scheibenbogen: Es sind vorwiegend Jugendliche und junge Erwachsene, bei denen der Erstkontakt zu uns über die Eltern zustande kommt. In Beratungsgesprächen versuchen wir, Möglichkeiten aufzuzeigen, wie ein gesundes Freizeitverhalten entwickelt werden kann. Wie bei allen Süchten gilt auch bei der Smartphone-Abhängigkeit: Genuss ist das beste Mittel gegen Sucht. Wer sich aus der Fremdbestimmung durch die Sucht befreit hat, erlebt es als ungemein befreiend, wieder selbst Herr oder Frau des eigenen Lebens zu sein.

Access Guide Magazin: Danke für das Gespräch.