Wissensräume aus Zeichen

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Er wurde nur 27 Jahre alt und reiht sich nahtlos in die Riege jener verstorbenen Genies ein, die ihre Nachwelt von Grund auf verändert haben: Jean-Michel Basquiat ist der erste afroamerikanische Künstler, der sich trotz vehementer Gesellschaftskritik in einem ausschließlich von Weißen dominierten Feld durchsetzte und Weltruhm erlangte.

Basquiat war ein Bahnbrecher, der nach den Jahren von Abstraktion, Minimalismus und Konzept-Kunst die Wiedergewinnung der gegenständlichen Kunst mit seinen unvergleichlichen, ausdrucksstarken Bildern und Zeichnungen betrieben hat. Stets hat Basquiat kompromisslos Stellung bezogen. Indem er den Pinsel und die Ölkreide wie eine Waffe einsetzt, kämpft er gegen Ausbeutung, Konsumgesellschaft, Unterdrückung, Rassismus und Polizeigewalt. Sein kritischer Umgang mit diesen Themen hat bis heute nichts an Bedeutung eingebüßt. Jean-Michel Basquiats künstlerisches Vermächtnis ist ungebrochen radikal und aktuell wie zu seinen Lebzeiten. Die Albertina zeigt den Ausnahmekünstler erstmals in Österreich mit einer umfassenden Retrospektive.

„Jean-Michel Basquiat war radikal in seiner Kunst. Fragen von Identität, Diaspora, Sklaverei und Alltagsrassismus finden sich in einer einzigartigen Stilistik wieder, welche es Basquiat ermöglichte, die Vergangenheit mit seiner Gegenwart, bis in unsere Zeit hinein zu verbinden. Seine Copy-Paste-Technik nahm unsere heutige Form des Arbeitens und Kommunizierens in einer digitalen Welt vorweg. Er kreierte Wissensräume aus Zeichen, Symbolen, Worten und Figuren, schlichtweg aus allem, was ihn umgab, seien es Rezeptionen der Geschichte, der Kunstgeschichte, wissenschaftliche Fakten, Comics, Hitchcock Filme, Fernsehsendungen, Erzählungen, Musik, Sport oder auch Zeichen und Symbole von Menschen in Obdachlosigkeit“, so der international renommierte Basquiat Spezialist und Kurator der Ausstellung Dieter Buchhart.

Vom Außenseiter zum ersten schwarzen Kunst-Star

Der aus einer bürgerlichen Familie stammende Basquiat wollte von Jugend an Künstler werden. Bereits als Kind bewundert er afro-amerikanische Vorbilder: Boxer wie Cassius Clay (später als Muhammad Ali bekannt), Musiker wie Louis Armstrong oder Charlie Parker. Er wird diese Figuren später als seine „Black Heroes“ in seinem Werk verewigen: oft mit einer Dornenkrone als Heiligenschein als Held und Märtyrer zugleich, Sieger und Opfer. Mit 17 schafft der Sohn eines Haitianers und einer Puerto-Ricanerin gemeinsam mit Al Díaz seine poetischen Graffiti unter dem Pseudonym SAMO©. Er begegnet dabei aber auch verschiedenen Subkulturen wie der New Wave Bewegung und hält sich im Mudd Club – einem Underground-Lokal der Musik- und Kunstszene – auf. Als einer der wenigen Schwarzen in einer von Weißen dominierten Kunst- und Galerienszene lernt er Madonna kennen, verkehrt mit Keith Haring und Andy Warhol, mit dem ihn eine besondere Freundschaft verbindet.

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Jean-Michel Basquiat, Self Portrait, 1983, Collection Thaddaeus Ropac,© Estate of Jean-Michel Basquiat. Licensed by Artestar, NY

Obwohl Autodidakt, erkennen die wichtigsten Galeristen seiner Zeit, wie Bruno Bischofberger, das Potential des jungen Künstlers: 1982 wird er unter anderen als jüngster Teilnehmer der documenta 7 endgültig zum ersten schwarzen Kunst-Star der Kunstgeschichte. Seine Werke werden in den großen amerikanischen und europäischen Museen gezeigt. Sichtbares Zeichen seines Erfolges ist die Coverstory auf dem New York Times Magazine: Eine Auszeichnung, die drei Jahrzehnte zuvor Jackson Pollock zuteilwurde. „Kaum ein anderer Künstler steht als Ausnahmeerscheinung so repräsentativ für die 1980er- Jahre und deren pulsierende New Yorker Kunstszene wie Jean-Michel Basquiat. Er verdichtet seine Werke zu einem persönlichen Universum an assoziativen Zeichen, Bildern und Worten von hohem Wiedererkennungswert. In ihnen kritisiert er Themen wie allgegenwärtigen Rassismus und Ungleichheit in der Gesellschaft. Aktueller denn je, ist sein Werk bis heute bahnbrechend und visionär, formal wie inhaltlich. Ein exzentrischer Outsider wie ausgebeuteter Superstar seiner Zeit behauptet sich als eine der bedeutendsten Schlüsselfiguren für die zeitgenössische Kunstdiskussion“, so Albertina-Kuratorin Antonia Hoerschelmann.

Unverwechselbare Kritik

Das Schaffen Basquiats entsteht zum überwältigenden Teil in einer kurzen Zeitspanne, in den Jahren 1980-88: Basquiats kurzes Leben ist gezeichnet von Rassenunruhen, dem Kampf um Gleichberechtigung bis hin zur Black-Power-Bewegung. New York, Heimatstadt Basquiats, ist in den 1970er und 1980ern in einer Finanzkrise, der Times Square, heute Aushängeschild und Touristenattraktion war damals ein heruntergekommenes, von Kriminalität, Porno-Shops und Massagesalons geprägtes Viertel. Diese Reagan-Jahre, die Ermordung John Lennons, AIDS, die aufkommende Yuppie-Kultur und wiederkehrende Polizeigewalt an Schwarzen stellen das Klima von Basquiats New York dar. Der wirtschaftlich erfolgreiche Bürgermeister der Stadt, Ed Koch (1978–1989) verschärft die Situation, indem er die Polizei mit aller Härte gegen Graffiti-Künstler vorgehen lässt.

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Jean-Michel Basquiat, La Hara, 1981 © Estate of Jean-Michel Basquiat. Licensed by Artestar, New York

Die Null-Toleranz-Politik des New York Police Department richtet sich vor allem gegen Schwarze: Michael Stewart, ein Freund Basquiats und Keith Harings, wird beim Besprühen einer Wand in der Subway verhaftet und stirbt an den Folgen des brutalen Polizeieinsatzes. Der alltägliche Rassismus und die Brutalität der Polizei gegen Schwarze bestehen auch Jahrzehnte nach der Aufhebung der Rassentrennung 1964 ungebrochen weiter. Das Thema der Polizeigewalt ist Werken der Ausstellung wiederzufinden: in der Gegenüberstellung des weißen Polizisten in „La Hara“ (1981) oder dem unterdrückten Afro-Amerikaner in „Irony of Negro Policemen“ (1981). Ebenso kritisiert Basquiat, dass Schwarze in Museen und Galerien nicht existieren, weder als Künstler noch als Motiv. Heute, angesichts der vieldiskutierten Identitätspolitik und Black Lives Matter, ist Basquiats Werk hochaktuell. Kolonialismus, Ausbeutung und die Anklage ungleicher Besitzverhältnisse gelangen bei ihm in einer neo-expressionistischen Sprache zu einem unverwechselbaren Ausdruck. „Es scheint, als habe jede Kunst ihre Momente: Asymmetrien, Unterdrückung und Fragen der Identität, die in all unsere Lebensbereiche hineinspielen, sind von Jean-Michel Basquiat schonungslos offengelegt worden. Wie kein anderer seziert er, gleichsam dem Chirurgen, die täuschende Oberfläche einer schädlichen Konsumgesellschaft, um so ihren wahren, nicht sichtbaren Kern offenzulegen. Auch die Kunst, der Kulturbetrieb, mögen in den vergangenen Jahrzehnten vieles übersehen haben und nicht immer für Botschaften, wie jene von Basquiat, empfänglich gewesen sein: Nun zeigt die Albertina erstmals in Österreich das Werk dieses Großen, der die Kunstgeschichte zweifelsohne revolutioniert hat“, so Albertina-Generaldirektor Klaus-Albrecht Schröder. Die Ausstellung ist bis 8. Jänner 2023 in der Albertina zu sehen.

Bild ganz oben: Jean-Michel Basquiat Untitled, 1982, Collection Museum Boijmans Van Beuningen, Rotterdam, Foto: Studio Tromp © Estate of Jean-Michel Basquiat. Licensed by Artestar, New York