Amore Mio

Image by enriquelopezgarre from Pixabay

Die Teilnehmer*innen von Eranos, einem Projekt zur beruflichen Rehabilitation von Menschen mit psychischen Erkrankungen, widmeten sich im Mai dem Thema „Liebe“. Alberto* hat sich für das Access Guide Magazin an Italienaufenthalte und vieles mehr erinnert: „In den 1980er Jahren verbrachte ich drei Sommer in Florenz, um mich auf die Italienisch-Matura vorzubereiten. Ich besuchte eine Sprachschule und wohnte privat. Die Quartiergeberin war eine alte Witwe, die die gesamte Wohnung in ein Museum, ein Mausoleum, einen Schrein für ihren Mann, einen General, eingerichtet hatte: mit Orden, Ölgemälden, Kruzifixen und Madonnen. Sie erwies sich als sehr nett und als begnadete Köchin. Dann stellte sich auch noch heraus, dass ihr Bruder aus Rom der Schauspiellehrer von Franco Zeffirelli war, des berühmten Regisseurs aus der Cinecittà, den römischen Filmstudios. Der Sprachkünstler mit Starallüren brachte mir in endlosen, auch nächtlichen lustigen Lektionen am Küchentisch das reine Italienisch und dessen Nuancen, quasi Hochdeutsch und Schönbrunnerdeutsch, bei. Meine Liebe zur italienischen Kultur, zur italischen Geschichte fand sich bestätigt und glücklich bestärkt.

Vormittags standen in der Schule Sprachstunden auf Italienisch und Ausflüge ins Lateinische am Programm, nachmittags klapperte ich systematisch alle Florentiner Sehenswürdigkeiten ab, also den Palazzo Pitti, den Dom etc. Die Uffizien hatten es mir besonders angetan, nicht nur wegen der Kunstschätze. Mein Interesse war auch privat sehr groß. Geschlagene zwölfmal besuchte ich die Galerien, bis sich die arme attraktive Museumswärterin und Fremdenführerin, deretwegen ich hinging, endlich meiner erbarmte: „Ist ein Kaffee privat nicht billiger als Deine vielen Eintrittskarten?“ Seither muss man mich mit Gewalt von jedem Radio wegzerren, wenn daraus Stefanie Werger ertönt. Da singe ich nämlich immer mit – leider mehr laut als schön: „Sehnsucht nach Florenz“.

Zu den subjektiv besten Filmen, die mich in Liebesdingen sehr bewegen, zählen Zeffirellis Film „Romeo & Julia“, und auch sein „Fratello Sole, Sorella Luna“ (Bruder Sonne, Schwester Mond) über den Heiligen Franz von Assisi. An Büchern zum Thema gingen, ja gehen mir die gesammelten Werke von Hermann Hesse stets sehr nahe. Kurt Tucholsky schätzte ich erst nur wegen seiner politischen Essays, bis ich auf sein herziges „Schloß Gripsholm. Eine Sommerliebe in Schweden“ stieß und auf das entzückende „Rheinsberg. Ein Bilderbuch für Verliebte“. Aber sogar bei Bert Brecht fand ich anrührende Texte zum Thema Liebe: „Morgens und abends zu lesen: Der, den ich liebe, hat mir gesagt, dass er mich braucht. Darum gebe ich auf mich acht, sehe auf meinen Weg und fürchte mich vor jedem Regentropfen, dass er mich erschlagen könnte.“

Liebe erkenne ich in allen Dingen, an denen mein Herz hängt. Das mag eine Aufgabe sein – nicht als Kapitulation, sondern als Herausforderung – eine Fremdsprache, ein Hobby, der Wunsch, mich nach der Pandemie jetzt endlich wieder mit meinen engsten Freunden zu treffen. Liebe erkenne ich in der Buchwidmung, die meine mit 15 vergötterte Lehrerin einst für mich verfasste. Sie stammt aus dem Talmud: Wer sich um Bildung bemüht, doch nichts mit dem Herzen weiß, der baut sich ein Haus, ohne ein Tor zu besitzen.

Und in meiner Heimatstadt gibt es noch mein Fräulein Religionslehrerin, inzwischen wohl an die 70. Die war im Katechismus-Unterricht einmal sehr unglücklich, sehr traurig. Ich musste sie natürlich unbedingt irgendwie trösten. Also schleppte ich einen schweren Sessel zu ihr, stieg darauf, umarmte sie, busselte sie ab und erklärte vor versammelter Klasse als Trost, als Sechsjähriger, dass ich zwar im Moment nicht helfen könne, sie aber heiraten würde, wenn ich erst einmal groß sei. Dann werde alles gut – und sie glücklich. Gelegentlich fordert sie mein Heiratsversprechen immer noch laut lachend bei meinen Eltern ein. Inzwischen achte ich aber darauf, dass in emotionalen Situationen nie ein Sessel in der Nähe ist“.

*Name geändert