Eine multifaktorielle Erkrankung

Florian Kiefer © MedUniWien F. Matern

Weltweit steigen die Zahlen für Übergewicht und Adipositas. Neben der Coronavirus-Pandemie befinden wir uns schon seit Jahren inmitten einer Adipositas-Pandemie und Österreich ist hier keine Ausnahme. Florian Kiefer, Oberarzt an der Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel am Allgemeinen Krankenhaus Wien erklärt, warum das so ist:

Florian Kiefer: Etwa 40% aller erwachsenen ÖsterreicherInnen sind entweder übergewichtig oder adipös. Leider ist auch der Anteil übergewichtiger oder adipöser Kinder mit 20-30% sehr hoch, was neben der Ernährungsweise insbesondere am Bewegungsmangel liegt. Das wird auch durch ein Stadt-Land Gefälle unterstrichen. Außerdem ist der Osten unseres Landes stärker betroffen als der Westen.

Access Guide Magazin: Welche körperlichen Erkrankungen führen zu Übergewicht/Adipositas?

Florian Kiefer: Mittlerweile wissen wir, dass Adipositas eine multifaktorielle Erkrankung ist und dass neben der hochkalorischen Ernährung und dem Bewegungsmangel noch eine Reihe anderer Komponenten zur Entwicklung von Adipositas beitragen. Dazu zählen vor allem genetische Faktoren aber auch das soziale Umfeld und psychische Faktoren wie chronischer Stress oder Depressionen. Seltener sind hormonelle Erkrankungen schuld wie z.B. Cortisol-produzierende Tumore. Grundsätzlich kann jede Erkrankung die zu einer Bewegungseinschränkung und Immobilisation führt auch zu eine Gewichtszunahme fördern.

Access Guide Magazin: Welche Folgekrankheiten von Adipositas gibt es?

Florian Kiefer: Die Adipositas betrifft sehr viele Organsysteme und ca. jeder fünfte vorzeitige Todesfall ist auf die Folgen von Adipositas zurückzuführen. Dafür verantwortlich sind insbesondere Herz-Kreislauferkrankungen wie Herzinfarkt und Schlaganfall. Adipositas ist der wichtigste Risikofaktor für die Entstehung von Typ 2 Diabetes oder Bluthochdruck. Weitere Folgeerkrankungen sind Schlafapnoe-Syndrom, Gallensteine oder Gelenks- und Knochenleiden wie Gicht und Osteoporose. Einige Krebserkrankungen wie Darmkrebs oder Brustkrebs sind ebenfalls bei Adipositas häufiger

Access Guide Magazin: Welche Behandlungsarten sind aus medizinischer Sicht am erfolgreichsten?

Florian Kiefer: Grundsätzlich steht am Beginn jeder Therapie die Lebensstilintervention, das bedeutet eine Anpassung der Ernährungsgewohnheiten, körperliches Training und eine psychologische Betreuung. Idealerweise erfolgt die Betreuung durch ein multidisziplinäres Team, welches Allgemeinmediziner (häufig die erste Kontaktstelle), Ernährungsberater/Diätologen, gegebenenfalls Internisten/Endokrinologen, Psychologen und Physiotherapeuten umfasst. Im nächsten Schritt kommen medikamentöse Therapiemöglichkeiten in Frage die entweder direkt im Gehirn wirken und den Appetit hemmen oder die Fettaufnahme im Darm reduzieren. Bei sehr schweren Formen der Adipositas kommen auch chirurgische Verfahren zum Einsatz, die sogenannte bariatrische Chirurgie, wobei mittlerweile zahlreiche Operationsmethoden existieren mit dem Ziel die Nahrungsaufnahme durch eine Verkleinerung der Verdauungsfläche zu reduzieren.

Access Guide Magazin: In welchen Fällen sind Medikamente oder medizinischen Eingriffe empfehlenswert und welche Gefahren sind damit verbunden?

Florian Kiefer: Derzeit sind in Österreich drei medikamentöse Therapien zu Behandlung von Adipositas zuglassen, der GLP-1 Rezeptor Agonist Liraglutid, der Lipasehemmer Orlistat und eine Kombination aus dem Opiodantagonist Naltrexon und dem Norepinephrin-Dopamin-Reuptake-Inhibitor Bupropion. Pharmakotherapie bei Adipositas ist immer als Unterstützung zur Lebensstilintervention zu verstehen und muss daher in Kombination mit dieser erfolgen. Ab einem BMI ≥ 30kg/m2 oder einem BMI ≥ 27kg/m2 und zumindest einer Adipositas-assoziierten Begleiterkrankung kann eine medikamentöse Adipositastherapie in Erwägung gezogen werden. Die Nebenwirkungen sind je medikamentöser Therapie unterschiedlich und umfassen beispielsweise Übelkeit und Obstipation (Liraglutid, Naltrexon/Bupropion), Blähungen und Fettstühle (Orlistat) oder Kopfschmerzen und Schwindel (Naltrexon/Bupropion).

Ein bariatrischer Eingriff ist indiziert, wenn konventionelle Therapieoptionen fehlgeschlagen haben und ein BMI ≥ 40kg/m2 oder ein BMI ≥ 35kg/m2 und adipositasassoziierte Komorbiditäten vorliegen. Die häufigsten Operationsverfahren sind der Y-Roux-Magenbypass, der Omega-Loop-Bypass, die Sleeve Gastrectomy („Schlauchmagen“) und eine Kombination aus den beiden letztgenannten, der SADI-S (Single Anastomosis Duodeno-Ileale Bypass mit Sleeve). Bei Nichteinhalten der diätischen Empfehlungen drohen postoperativ Komplikationen wie Übelkeit, Erbrechen, Hypoglykämien, Reflux oder neuerliche Gewichtszunahme. Darüber hinaus können chirurgische Komplikationen wie Anastomosen-Ulzera, innere Hernien oder Ileus auftreten. Eine lebenslange postoperative Nachsorge muss gewährleistet sein, um Mangelerscheinungen (Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente, Eiweiß) vorzubeugen.

Florian Kiefer

Österreichische Adipositas Gesellschaft

Umwandlung durch Kälte