Miteinander für psychische Gesundheit

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Pandemie, Klimawandel und Krieg führen zu gravierenden Veränderungen in unserem Alltag und belasten unsere Psyche. Was kann uns in diesen unsicheren Zeiten psychisch stabilisieren? Darüber diskutierten Betroffene, Angehörige und Expert:innen bei der 6. pro mente Wien Fachtagung Anfang Jänner.

„Menschen mit psychischen Erkrankungen leiden in einem großen Ausmaß an Isolation und Vereinsamung – gerade in der aktuellen Zeit mehr denn je“, betonte Hemma Swoboda, Obfrau von pro mente Wien zum Auftakt der diesjährigen pro mente Wien Fachtagung. Der „unerkannten Krankheit Einsamkeit“ widmete sich auch der erste Fachvortrag des Tages. „Seit der Pandemie stagniert das Einsamkeitsgefühl auf hohem Niveau“, sagte der deutsche Psychiater und Stressforscher Mazda Adli. Einsamkeit sei eine Unterform von sozialem Stress und der „stärkste Stressor, den man kennt“. Dass Einsamkeit als schmerzähnlich empfunden wird, sei von der Natur „weise eingerichtet“, weil es sich um ein biologisches Mangelsignal handle.

Im Hinblick auf die Einsamkeit formulierte Adli drei Kernbotschaften: Je voller es auf der Erde wird, umso einsamer fühlt man sich. Am schlimmsten sei – nach Erich Kästner – die Einsamkeit zu Zweit. Die Einsamkeit entsteht in Bezug auf andere Menschen und der giftige Stachel sei die scheinbare Unveränderbarkeit der Situation. Bezogen auf die gesamte Lebensspanne verläuft Einsamkeit in Wellen, die steilsten Kurven sind im Jugend- und hohem Alter zu beobachten. Geografisch zählen die Großstädte zu den Hotspots der Vereinzelung. In Wien lebt bereits jeder Dritte allein. Häufig damit verbunden ist Armut.

Ein weiteres Merkmal ist die Tabuisierung: „Einsamkeit gehört zu den am stärksten tabuisierten Themen. Sie wird als so unglaublich peinlich erlebt, dass es Betroffenen sogar im psychotherapeutischen Kontext schwer fällt darüber zu reden. Einsamkeit wird als Versagen maximalen Ausmaßes empfunden“, so Adli. Wäre der Mensch nur rein biologisch gestrickt, würde er ausschließlich die Nähe von erfolgreichen Artgenossen suchen. Zum Glück sei das nicht so. Dennoch gäbe es weit verbreitete Berührungsängste mit Armut und Hunger. Schließlich sei die Einsamkeit auch gesundheitsrelevant. Sie erhöht die Sterblichkeit und das Risiko psychischer Erkrankungen.  Die Anonymität der Städte vergrößere die Gefahr zu vereinsamen zusätzlich Deshalb sei es wichtig Orte der Begegnung zu schaffen. Öffentliche Plätze hätten einen wichtigen Public Health Auftrag. Darüber hinaus bräuchten wir ein ein stärkeres Bewusstsein für Einsamkeit. Wegschauen sei keine Option.

Armut macht krank

Olivier David beleuchtete die soziale Dimension von Depressionen am Beispiel seiner eigenen Lebensgeschichte. Der Journalist und Autor wuchs in Hamburg bei seiner alleinerziehenden, überforderten, psychisch instabilen Mutter auf, die ihren Kindern trotz allem ein besseres Leben ermöglichen wollte. Doch die Familie ist arm, die Möglichkeiten sind begrenzt. Mit neun Jahren erfährt der Autor, dass sein Vater dealt. Zunächst scheint es so, als ob Olivier einen ähnlichen Weg einschlagen wird: Er scheitert am Fachabitur, kifft und trinkt täglich. Gerade als er es schafft, für seine Ziele zu kämpfen, holt ihn seine Familiengeschichte ein: Depressionen und Panikattacken zwingen ihn zur Auseinandersetzung mit seiner Vergangenheit. Mit 30 beginnt David eine Psychotherapie und erkennt, dass das permanente Gefühl des Scheiterns, das ihn seit seiner Kindheit begleitet, der Klassenposition seiner Eltern geschuldet war. „Nicht alle Menschen, die in Armut leben, werden psychisch krank. Aber die Wahrscheinlichkeit ist für sie größer. Ein Grund dafür ist, dass arme Menschen ständig unter Druck leben, weil immer Geld fehlt“, so David. Dazu komme die gesellschaftliche Ausgrenzung: „Meine Mutter lebte wie in einem Schneckenhaus und nahm die Außenwelt vorwiegend als Bedrohung wahr. Das hat auch auf mich und meine Schwester abgefärbt“. Wie die meisten von Armut betroffenen Menschen hatte Davids Mutter keine Ressourcen, ihre psychischen Probleme anzugehen. Sie hatte genug damit zu tun, ihren Alltag zu bewältigen und über die Runden zu kommen. Möglichst niedrigschwellige Hilfsangebote für prekär lebende Menschen könnten da Abhilfe schaffen.

Schrecken des Krieges

Einer der Höhepunkte der Tagung war sicherlich die Rede der ukrainischen Schriftstellerin und Fotografin Yevgenia Belorusets. Sie erzählte in bewegenden Bildern vom durch den Krieg veränderten Lebensalltag in ihrer Heimat. Zu Beginn des russischen Angriffs war die Hoffnung noch da, dass der Krieg nur wenige Tage dauern würde. Aber sehr bald war jeder Tag „wie eine gefährliche Kranheit, von der man dringend geheilt werden muss“ und die Frage nach dem Kriegsende wurde zu einer rein rhetorischen. Belorusets, die abwechselnd in Kiev und Berlin lebt hat während der ersten Wochen des Krieges Tagebücher geschrieben, die mittlerweile auch in Buchform erschienen sind. Die erste Nacht des Krieges verbrachte sie im Jugendzimmer in der Wohnung ihrer Eltern. Sie hatte Angst davor, die eigene Vergangenheit in einer gewalttätigen Gegenwart zu verlieren. Ihre Kriegsberichte hat die Autorin auf Deutsch geschrieben, weil so Distanz möglich wurde, denn „Sprache bildet eine Entfremdungsschicht“.

Klimakrise im Fokus

Mit der Wechselwirkung von psychischer Gesundheit und Klimakrise beschäftigte sich Lea Dohm. Die Psychologin und Mitinitiatorin von „Psychologists for Future” sprach über die Bandbreite von „Klimagefühlen“ – von Gefühlstaubheit bis Hyperarousal oder Solastalgie, jenem belastenden Gefühl des Verlustes, das entsteht, wenn man die Veränderung oder Zerstörung des eigenen Lebensraums direkt miterlebt. Delaram Habibi-Kohlen machte sich psychoanalytische Gedanken zum Umgang mit der Klimakrise und dem Fehlen von Utopien: „Wir betrachten die Welt nur noch als Ressource aus der wir unseren Wohlstand generieren“, lautete die Kernthese der Lehranalytikerin aus Bergisch Gladbach. Weitere spannende Beiträge lieferten der Psychologe Fabian Chmielewski und die Erfahrungsexpertin Brigitte Heller.

An der pro mente Wien Fachtagung „Psyche in belastenden Zeiten” am 12. Jänner 2023 in der Aula der Wissenschaften nahmen rund 270 Menschen teil. Begleitet wurde die Tagung von den Werken ausgewählter Streetart Künstler:innen aus ganz Europa.