Auf Augenhöhe

Uni Campus © Ute Fuith

Ende August lud die Universität Wien zur 25. Tagung „Die subjektive Seite der Schizophrenie“. Unter dem Motto „Human, bedürfnisorientiert, emanzipiert – was braucht es für das nächste Vierteljahrhundert?“ bot die Veranstaltung eine Plattform für gemeinsamen Erfahrungsaustausch.

Die Diagnose Schizophrenie hat ihre Infragestellung bisher überlebt, die Umstände und Herausforderungen für Betroffene, Familien und psychiatrisch Tätige haben sich verändert. Neue Krisen und Bedrohungen, Möglichkeiten und Optionen prägen Alltag, Gesellschaft und Versorgung. Eine zukunftsfähige Sozialpsychiatrie wird den Mut aller Generationen brauchen. Was ist zu wahren, was hinter uns zu lassen, was neu zu erfinden? Wie kann man den Bedürfnissen gerecht werden? Was haben frühe Hilfen, partizipative Gestaltung, Empowerment-orientierte Entwicklung bewirkt? Wie weit müssen die Hilfen altersgemäß sein? Was brauchen die Jungen? Und kann sich psychiatrische Forschung öffnen für Paradigmen und Modelle, die Versorgung effektiver machen und sich an Bedürfnissen von Betroffenen orientieren, anstatt Geld in Methoden zu versenken, die über Jahrzehnte nichts beigetragen haben?

Das waren die großen Fragen, denen sich die Tagung „Die subjektive Seite der Schizophrenie“ (SuSe) in diesem Jahr widmete. Michael Krausz, SuSe-Gründer zog in seiner Rede eine Zwischenbilanz zur 25. Ausgabe der Veranstaltung. Der Professor für Psychiatrie, Population und Public Health an der University of British Columbia (UBC) ist dort Lehrstuhlinhaber für Suchtforschung mit Schwerpunktinteressen in der Arbeit mit Sucht und schweren psychischen Erkrankungen und Berater für die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und UNICEF. „Im Rückblick wird klar, dass Veränderung nur durch Diskurs und Auseinandersetzung möglich ist. Wir müssen uns fragen, welchen Beitrag kann die Psychiatrie heute leisten. Subjektivität prägt das aktuelle Erleben und die individuellen Handlungsmodelle. Von einem Trauma kann man sich nicht erholen, wenn man zum Beispiel auf der Straße lebt. Deshalb müssen Modelle auf gelebter Erfahrung basieren“.

SuSe © Ute Fuith

Öffnung des Diskurses © Ute Fuith

Krausz kritisierte auch, dass sich die Psychiatrie zu sehr als Verschreibungspraxis definiert und die Psychotherapie nach wie vor zu wenig akzeptiert sei. Der subjektiven Seite von psychischen Erkrankungen werde immer noch zu wenig Raum gegeben. Dagegen werde immer noch massiv auf die Pharmaforschung gesetzt. „Mit der SuSe-Tagung ist es uns gelungen, den Diskurs zu öffnen, aber das Gesundheitssystem steht unter steigendem Druck. Trotzdem bin ich überzeugt, das Veränderung möglich ist. Wir wollen gemeinsam die Herausforderungen verstehen, Kipppunkte identifizieren, neue Allianzen und Gestaltungsmöglichkeiten erkunden und bestmöglich in das nächste Vierteljahrhundert SuSe starten.“, so Krausz abschließend.

Innenansichten

Zu Wort kamen auch Betroffene selbst, wie etwa Christopher Tupy. Für den Wiener ist die gelebte Erfahrung im psychosozialen Bereich das Fundament seiner vielen Tätigkeitsfelder. Diese umfassen Genesungsbegleitung, Peer-Beratung, Peer-Lehre, Peer-Forschung, Öffentlichkeitsarbeit und politische Interessenvertretung. Das Umformen und das Anpassen der psychosozialen Versorgung an die Bedürfnisse der zu unterstützenden Personen stellt für Tupy in jedem Tätigkeitsfeld den zentralen Gegenstand dar: „Für mich persönlich war es wichtig herauszufinden, wie ich mein Leben gestalten kann, ohne den Fokus permanent auf die Krankheit zu richten“. In der Peerberatung könne das gelernte mit dem Erfahrungswissen gleichgesetzt werden. Insgesamt brauche es aber noch viel mehr Stigmafreie Begegnungen in der Gesellschaft.

Ratschläge für Menschen nach erster Diagnose

Sehr spannend waren die Beiträge von Cecilia McGough und Cece Joyce, die über ihre persönlichen Erfahrungen mit der Diagnose „Schizophrenie“ berichteten. Cecilia McGough ist Leiterin und Gründerin der weltweiten Non-Profit-Organisation „Students With Psychosis”. Selbst von Schizophrenie und Autismus betroffen, vernetzt und unterstützt sie und ihre Organisation, Studierende weltweit. McGough ist eine gefragte Rednerin und Beraterin, die mit verschiedenen Expert:innen und Organisationen im Bereich der psychischen Gesundheit zusammenarbeitet.

Cece Joyce ist seit 2021 Mitglied bei „Students With Psychosis“ und aktuell Vizepräsidentin im Vorstand. Sie ist Hauptrednerin auf Konferenzen, teilt Erfahrungen und hält Vorträge für betroffene Studierende. Ihre Beiträge wurden auf renommierten Veranstaltungen wie beispielsweise der South Southwest MHTTC First Episode Psychosis Conference 2022 in Austin, Texas präsentiert.

Die Kernbotschaft von McGough und Joyce lautet „Du bist nicht allein“. McGough lebte mit 18 Jahren auf der Straße in New York. Ganz allein, nur in Begleitung ihres Hundes litt sie an Einsamkeit. „Der Stress hat meine Symptome noch verstärkt“, so McGough. Joyce beschrieb ausführlich, welche Halluzinationen sie hatte: Da war einerseits ein Mädchen mit Messer und andererseits winzige Spinnen. „Ich habe Fotos mit dem Handy gemacht, um herauszufinden, was echt ist und was nicht“. Das Leben in der Psychose ähnle einem „Albtraum, aus dem man nicht aufwachen kann“, so Joyce. Für beide Frauen hat es monatelang gedauert, bis sie professionelle Hilfe bekamen. Zusätzlich zum Leidensdruck durch die Erkrankung käme noch die gesellschaftliche Stigmatisierung „Wir sind aber keine Monster“. Die US-amerikanische Gesellschaft müsse außerdem endlich aufhören „psychische Erkrankungen für das Waffenproblem der USA verantwortlich zu machen“.

Für Betroffene sei es wichtig, offen mit der Diagnose umzugehen, obwohl einem das nicht immer leicht gemacht werde. Der Rückhalt in der Community der „Students with Psychosis“ sei enorm wichtig, vor allem „an Tagen, an denen es einem schlecht geht“, erzählt Joyce. „Dann rufe ich jemanden an, mit dem ich reden kann. Unsere NGO bietet telefonisch, persönlich und online Unterstützung in Krisenfällen“, so Joyce.

Opa, Partner, Tochter, Enkel

Wie Alters- und rollenspezifische Angehörigenarbeit aussieht, war das Thema von Joy Ladurner und Lisa Kainzbauer. Die beiden Wienerinnen sind betroffene Angehörige. Unterstützung bekamen sie durch den Verein „Hilfe für Angehörige psychisch Erkrankter“. Angehörige bilden für Menschen mit psychischen Erkrankungen einen maßgeblichen Beziehungsrahmen, seien aber keine Profis, um mit dieser herausfordernden Situation umzugehen. Daher sei Hilfe von außen umso wichtiger. Kinder von psychisch Erkrankten stünden unter enormem Druck und seien oft gezwungen „sehr früh Verantwortung für die Familie zu übernehmen und erwachsen zu werden“. Aus dem Familienkontext auszubrechen sei sehr schwierig, weil „man kranke Menschen nicht verlässt“. Umso wichtiger sei es Strukturen zu schaffen und wieder Vertrauen zu bekommen. Im Zusammenleben mit psychisch Erkrankten sei es einerseits wichtig, Grenzen zu setzen, aber auch bestimmte Perspektiven stehen lassen zu können. Lisa Kainbauer hat gemeinsam mit Brigitte Maresch ein Buch zu dem Thema geschrieben. In „Verrückte Welt“ beschreiben die Autorinnen, wie sich Schizophrenie anfühlt.

Weitere Themen die bei der Tagung behandelt wurden, waren u.a. „Strategien für nachhaltige Veränderungen“, „Prognosen für den Langzeitverlauf“ oder „Wie relevant ist die aktuelle Psychiatrie für die Zukunft?“. Ein vollständiges Verzeichnis der SuSe-Vortragenden gibt es hier.