Bis zum letzten Tropfen

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Ein Spitzerl, ein Schwipserl, a Reischerl, a Schwü’ – ma braucht zua Seligkeit zwa, drei Promü’, sangen Helmut Qualtinger und André Heller in ihren „heurigen und gestrigen Liedern“. Auf der Langspielplatte, die Ende der 1970er Jahre erschien, spazieren die beiden Künstler durch die Mördergrube des goldenen Wiener Herzens. Dass dabei auch jede Menge Alkohol floss, versteht sich von selbst. Immerhin ist Wien die einzige Großstadt der Welt, in der Weinbau innerhalb der Stadtgrenzen in größerem Stil betrieben wird. Entsprechend hoch ist auch die gesellschaftliche Akzeptanz des Alkoholkonsums in der Bundeshauptstadt. Aber der Schritt vom Genuss-Achterl über ein problematisches Trinkverhalten hinein in die Abhängigkeit ist schnell gemacht. Das ist ein Lernprozess: Die Abhängigkeit schleicht sich langsam ein“, erklärt Elisabeth Lantschner, Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie i. R. aus Wien.

Den Begriff „Sucht“ gibt es im wissenschaftlichen Sprachgebrauch übrigens nicht mehr. In der Medizin, der Psychiatrie oder im Sozialbereich spricht man mittlerweile von „Abhängigkeit“. Das hat Gründe: „Durch die Vermeidung des Terminus Sucht soll die Stigmatisierung Erkrankter vermieden und deutlich gemacht werden, dass es sich bei Abhängigkeiten um Krankheiten handelt“, sagt Lantschner. Wissenschaftlich werden Alkoholerkrankungen über die Menge an reinem Alkohol definiert, die konsumiert wird. „Bei Frauen liegt die Gefährdung bei einem Liter Bier oder einem halben Liter Wein oder sechs kleinen Schnäpsen pro Tag. Bei Männern sind es eineinhalb Liter Bier, ein Dreiviertel Liter Wein oder neun kleine Schnäpse täglich“, beschreibt Lantschner.

Unterschiedliche Motive

Warum Alkohol überhaupt getrunken wird, hat viele Gründe: Frauen trinken beispielsweise zur Entspannung, unter anderem wegen der Mehrfachbelastung durch Beruf und Familie. Junge Burschen trinken, weil es bei ihnen zum Initiationsritual des Erwachsenwerdens gehört. Oder erwachsene Männer trinken, weil es ihrem Status entspricht. Alkohol entspannt fürs erste. Aber wenn es zu einer Konsumsteigerung kommt, entwickelt sich eine Toleranz. Man muss immer mehr trinken, damit der Alkohol wirkt. Die Dosissteigerung ist der Hebel bei der Entwicklung einer Abhängigkeit. Neben den psychischen Problemen, die mit einer Alkoholabhängigkeit einhergehen, gibt es auch zahlreiche gravierende körperliche Beeinträchtigungen. „Alkohol ist ein Zellgift und befördert Erkrankungen von Leber, Bauchspeicheldrüse, Atemwegen, dem Magen-Darm-Trakt oder dem Nervensystem. Bei Alkoholabhängigen gibt es auch eine starke Neigung zu Depression und eine hohe Suizidrate“, erklärt Elisabeth Lantschner.

Grundsächlich kann jede:r an einer Alkoholabhängigkeit erkranken. Das zieht sich durch alle Gesellschaftsschichten. Das Klischeebild vom männlichen Alkoholiker, der auf der Parkbank sitzt und trinkt, deckt sich längst nicht mehr mit der Realität. Im Weinland Österreich tarnen viele Alkoholiker:innen ihre Abhängigkeit mit vermeintlichem Genuss. Es gibt aber Faktoren, die eine Abhängigkeit befördern. Dazu zählen traumatische Erfahrungen oder ein lockerer Umgang mit Alkohol in der Familie. So entstehen Vorbilder, die an die nächste Generation weitergereicht werden.

Neue Therapieansätze

Das Behandlungssystem für Alkoholkranke hat sich über die vergangenen 50 Jahre verändert und ist nun deutlich mehr Patient:innenorientiert. Früher dominierten noch stark moralisierende Konzepte, die einer radikalen Abstinenzorientierung verpflichtet waren. Seither hat sich das Behandlungsangebot mit Blick auf die Möglichkeiten und Grenzen der Betroffenen laufend angepasst. Um eine möglichst große Anzahl alkoholkranker Patient:innen möglichst frühzeitig zur Behandlung motivieren zu können, kam es zu einem Abrücken vom starren Abstinenzparadigma und einer Neuausrichtung der Behandlungsziele. Gleichzeitig setzte sich die Erkenntnis durch, dass eine Alkoholabhängigkeit häufig als Ergebnis eines missglückten „Selbstbehandlungsversuchs“ bei psychiatrischen oder psychosozialen Grundproblemen zu verstehen ist.

Die europäische Alkoholpolitik steht im Spannungsfeld zwischen zwei unterschiedlichen Herangehensweisen: den restriktiven Kontrollansätzen aus dem europäischen Norden und der englischsprachigen Welt, die beide historisch protestantisch geprägt sind, und dem Zugang des Alpenbereichs und Südeuropas, beide mit historisch katholischer Prägung, der moderaten Alkoholkonsum neutral bis positiv bewertet, in Verbindung mit Genuss und Lebensqualität setzt und nur den exzessiven Alkoholkonsum problematisiert.

In Österreich zielt die Behandlung zwar im Idealfall auf eine endgültige Genesung ab, also eine Alkoholabstinenz. Aber wenn „kontrolliertes Trinken“ eine deutliche Verbesserung der Gesundheit, Arbeitsfähigkeit und Lebensqualität bringt, ist auch das ein berechtigtes Behandlungsziel. Wie bei anderen chronischen Erkrankungen sind auch nach Alkoholbehandlungen immer wieder Eingriffe durch das Gesundheitssystem notwendig. An Bedeutung gewinnen in diesem Zusammenhang integrierte Behandlungssysteme, bei denen zentrale Anlaufstellen die Patient:innen explorieren, für diese einen Behandlungsplan erstellen und sie geeigneten Behandlungseinrichtungen zuweisen. Dies erleichtert den Patient:innen die Orientierung im Behandlungsangebot.

Immerhin ist der Alkoholkonsum in Österreich in den vergangenen 50 Jahren deutlich zurückgegangen. So ist der durchschnittliche Pro-Kopf-Konsum um 25 % gesunken, regelmäßiger starker Alkoholkonsum in der Arbeitswelt zur Ausnahme geworden und auch Verkehrsunfälle im Zusammenhang mit Alkohol haben drastisch abgenommen.

Beratungsstellen und Angebote

Informationen zu sämtlichen Beratungsmöglichkeiten zum Thema Alkoholabhängigkeit gibt es hier. Online Hilfe gibt der Alk-Coach. Das Handbuch Alkohol – Österreich ist seit 20 Jahren eine zentrale kostenlose Informationsquelle für alle, die sich über unterschiedliche Aspekte im Zusammenhang mit Alkohol informieren wollen. Es gibt einen detaillierten Überblick über die Entwicklung von Behandlungsangeboten bei alkoholassoziierten Problemen und Alkoholabhängigkeit in Österreich. Es wird regelmäßig aktualisiert, ist über das Internet leicht zugänglich und bietet sowohl einfache Überblicksinformation als auch detaillierte Vergleiche und Analysen in Bezug auf die meisten alkoholassoziierten Fragestellungen. Zu den bekanntesten Selbsthilfegruppen für Alkoholabhängige zählen die Anonymen Alkoholiker:innen. Weltweit zählt die Gemeinschaft zwei Millionen Mitglieder, in Österreich sind es 2000. AA sind in einer Vielzahl lokaler Gruppen organisiert, deren Mitglieder sich regelmäßig mit dem Ziel treffen, Unterstützung in der Abstinenz vom Alkoholkonsum zu erfahren.