Dialog und Spannung

Extinction Julien Gosselin © Simon Gosselin

Bei den Wiener Festwochen können noch bis 21. Juni eine Vielzahl schöner künstlerischer Visionen erlebt werden. Das Festival geht zahlreiche Partnerschaften ein, sowohl lokal als auch international. Es sucht nicht nach einfachen und Wegen, um zu gefallen, sondern kombiniert Exzellenz und Experiment, verbindet verschiedene Generationen von Künstler:innen und unterschiedliche Disziplinen miteinander. In Wien verankert, jedoch mit internationaler Ausstrahlung, sind die Wiener Festwochen ein Festival der Künste, das mutige Arbeiten schafft.

WFW-Eröffnung Freestyle Orchestra © Franzi Kreis

Festwochen-Eröffnung mit dem u.a. Freestyle-Orchestra © Franzi Kreis

Die Wiener Festwochen möchten einen für Nuancierungen und Reflexion weit offenen Raum schaffen, in dem Künstler:innen facettenreich unbekanntes Terrain erforschen. Das Festival fördert mutige und multidisziplinäre künstlerische Visionen und unterstützt deren Realisierung. Die Auftragswerke sind ein zentraler Aspekt des Festivals, das den Großteil der präsentierten Werke selbst produziert oder koproduziert. Insgesamt 18 Stücke, die dieses Jahr auf dem Programm stehen, werden in ihrem Entstehen von den Wiener Festwochen unterstützt. Zu sehen sind 8 Weltpremieren, eine Neuinszenierung und die erste österreichische Einzelausstellung von Laure Prouvost.

In seiner Gesamtheit bildet das Festwochen Programm eine Partitur, die Dialog und Spannung zwischen Generationen, Ästhetiken und Positionen fördert. Das Festival bietet 2023 eine beachtliche Riege internationaler Theatergrößen. Alexander Zeldin, Susanne Kennedy, Milo Rau, Mariano Pensotti, Julien Gosselin und viele andere präsentieren ausnahmslos brandneue und ehrgeizige Werke, oft als Welturaufführungen. In vielen Geschichten die im Rahmen der Wiener Festwochen 2023 erzählt werden, sind Vorfahrinnen – (Groß-)Mütter – die Hauptpersonen. Künstler:innen nehmen Bezug auf die Vergangenheit von Familienmitgliedern, fiktiven Alter Egos oder mythologischen Figuren in ihrer aktiven Suche nach alternativen Zukunftsvorstellungen.

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Doris Uhlich melancholic ground © Alexi Pelekanos

melancholic ground © Alexi Pelekanos

10. Juni 2023: Melancholic Ground: Ein Schiff, ein Schloss, ein Auto und ein Pferd. Als Kinder finden wir auf dem Spielplatz eine kleine Welt vor. Gebaut zum bloßen Vergnügen, für körperliche Ertüchtigung und als Bühnenbild für blühende Fantasien, treten die Spielplatz-Bauten in melancholic ground jenseits ihrer gewohnten Funktionen auf. Auf dem wippenden Pferd und der Rutsche agieren 14 Performer:innen verschiedener Generationen, sie vollziehen ihre Bewegungen in extremer Langsamkeit, in stockendem Fluss oder bieten, plüschkostümiert, sich selbst zum Spielzeug für die anderen an. Für ihre neue Arbeit geht Doris Uhlich, eine der international renommiertesten Choreografinnen Österreichs, dem Gefühl der Melancholie nach. Anstatt zur Vereinzelung zu führen, macht melancholic ground den Zustand kollektiv erlebbar. Im absurden Disneyland zwischen Klettergerüst und Sand wird subtiler Widerstand geleistet, gegen das Diktat der Produktivität und die Normierung der Körper. Sparefroh-Spielplatz Donaupark

12. Juni 2023: Erstmals in Wien zu Gast ist der in Calais lebende Regisseur Julien Gosselin, der mit seinen Großprojekten basierend auf literarischen Vorlagen in den vergangenen zehn Jahren zu einer festen Größe des französischen Theaters wurde. Nach Sturm und Drang – Geschichte der deutschen Literatur I an der Volksbühne Berlin vertieft er sich im zweiten Teil ganz in die österreichische Literatur- und Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts. Ausgehend von Schnitzlers Wien der Jahrhundertwende durchleuchtet Extinction (in Anlehnung an Thomas Bernhards Roman Auslöschung, Bild ganz oben: Extinction Julien Gosselin © Simon Gosselin) Nihilismus und Zerstörung, um aus den Trümmern die Möglichkeit einer neuen Moderne entstehen zu lassen. Halle E im MuseumsQuartier

Foto Gene Pittman © Walker Art Center Minneapolis

Foto G. Pittman © Walker Art C. Minneapolis

14. Juni 2023: Mit Ohmmm age Oma je ohomma mama zeigen die Wiener Festwochen und die Kunsthalle Wien die erste Einzelausstellung in Österreich der französischen Künstlerin Laure Prouvost, und damit eine der international herausragendsten Positionen in der bildenden Kunst. Die Turnerpreisträgerin mit der unverkennbar fantasievollen und spielerischen Handschrift konzipiert für die Ausstellung eine neue raumgreifende, multimediale Installation und widmet sie der Figur der Großmutter als Ahnin, als Vorreiterin. Sie verwandelt den Ausstellungsraum in ein Theater der Objekte, Erinnerungen und Vorstellungskraft, das von Wahlverwandtschaften zwischen den Generationen, historischen Kontinuitäten, Emanzipation und Austausch erzählt. Kunsthalle Wien Museumsquartier

Sibyl © Stella Olivier

Sibyl © Stella Olivier

20. Juni 2023: Zum Festivalende beehrt schließlich William Kentridge die Wiener Festwochen mit seinem zweiteiligen Abend Sibyl. Die Prophetin Sibylle schreibt das Schicksal der Menschen auf Eichenblätter nieder und legt diese am Eingang ihrer Höhle auf einen Laubhaufen. Doch dann kommt Wind auf und alles wirbelt durcheinander. Die Kontrolle über die Weissagungen geht verloren. Oder war der Wunsch nach Vorhersehbarkeit immer schon vergebens? Dieser antike Mythos inspirierte den südafrikanischen Künstler William Kentridge und sein Team für den zweiteiligen musikalischen Abend Sibyl. Eingeleitet von einem 20-minütigen Film, der in das private Animationsstudio von Kentridge entführt und auf der Bühne musikalisch begleitet wird, erzählt die anschließende Kammeroper Waiting for the Sibyl von den Weissagungen der Priesterin. Sprichwörter und Gedichte wurden dafür in vier Bantu-Sprachen übersetzt. Die neun Sänger:innen und Tänzer:innen greifen lokale Mythologien und Storytelling-Traditionen für ihren Gesang und ihr Spiel auf. Gemeinsam mit den großflächigen Projektionen und Schattenspielen auf dem handbemalten Hintergrund lassen sie eine Meditation darüber entstehen, wie Leben und Schicksal verbunden sind. Halle E im MuseumsQuartier

Lokale Künstler:innen im Programm: Darüber hinaus arbeiten die Festwochen dieses Jahr auch mit drei Wiener Künstlerinnnen an Spezialprojekten: Die Choreografin Doris Uhlich entwickelt das Outdoor-Stück melancholic ground, welches auf einem Kinderspielplatz aufgeführt wird. Die Bildhauerin Liesl Raff gestaltet eine Bar mit Varietébühne. Club Liaison ist ein gemeinsames Projekt mit dem Ausstellungsraum Franz Josefs Kai 3 und öffnet während der Festwochen an zwei Abenden pro Woche mit Performances großteils lokaler Künstler:innen. Und die Autorin und Kabarettistin Maria Muhar konzipiert und kuratiert die Veranstaltungsreihe Comish mit Blick auf die die reichen, künstlerischen Spielformen von zeitgenössischem Kabarett und Comedy. Comish bietet jungen österreichischen Künstler:innen wie Toxische Pommes, David Scheid oder Malarina ein Bühne und lässt sie auch auf internationale Acts wie Erin Markey oder Lea Blair Whitcher treffen. WFW 2023