Flüchtige Momente

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Raus gehen, Luft holen und den Blick schweifen lassen: Ein Spaziergang macht den Kopf frei und schafft Platz für neue Eindrücke oder längst Vergessenes. Die Teilnehmer:innen des jüngsten Schreibworkshops des Access Guide Magazins haben ihre Gedanken beim Unterwegs-Sein in Alterlaa notiert:

Stevie: „Die Platane, so weit, groß, stark und grün. Dieser Moment jetzt gerade, wie ich den letzten Satz geschrieben habe, wirkt wie ein Traum. Ein Traum, den ich vor ein paar Tagen geträumt habe. Ganz komisches Gefühl. Man hört Kinder spielen, reden schreien, genauso wie damals, als ich klein war, ein Kind. Es fühlt sich an wie gestern: Am Trampolin springen, vom Dach auf das Trampolin hüpfen. Unglaublich, dass meine Eltern nicht da waren, um mich zu stoppen, keiner war jemals wirklich da. Ich war auch nie wirklich im Moment, sondern ich war immer mein Gefühl: Neid, Angst, Wut, Trauer, Angst, Wut, Neid. Trotz dieser Gefühle war ich glücklich. Oder? War ich glücklich oder eher euphorisch, dass ich leben durfte?

Diese Euphorie, sie war mal da. Grün sind all die Blätter auf dem Baum vor mir. Ich freu mich, dass die Natur gerade so schön bunt ist. Gleichzeitig freu ich mich auf den Herbst, wenn man die Freude in sich spürt, wenn mal wieder die Sonne scheint. Blauer Himmel zwischen den hohen Gebäuden, dieses Blau ist so unfassbar rein. Es bringt mir auch die Euphorie meiner Kindheit zurück, die Freude, leben zu dürfen. Jetzt gerade, wie vorher schon angekündigt, freu ich mich auf den Herbst, weil obwohl Sonne, blauer Himmel, warm und grün schön ist, ist mein Tank schon zu voll von der drückenden Hitze. Wieso freu ich mich darauf, wenn es ein bisschen kühler wird, verrunzelte Blätter und bunte Blätter, also nicht nur grün, sondern braun, gelb, rot, dunkelrot, orange und so weiter? Jetzt sitz ich hier auf einer ungemütlichen Bank. Braun, getagged und schmutzig. Zuhause im Herbst ist es zwar kälter, dafür kann man es sich warm und kuschlig machen, also sich zudecken, mit Freunden etwas anschauen, was mit Kartoffeln kochen, Tee trinken, es sich warm und kuschelig machen, nicht so wie hier gerade.“

Kim*: „Die Wiese so schön gemäht. Kaum ein Blümchen auf ihr. Bäume schön zurechtgeschnitten, große Narben – verheilt, aber immer noch sichtbar, auf ihren Stämmen. Alles wirkt grün und lebendig, doch von Insekten keine Spur. Schön symmetrisch, schön sauber, ja so schön unnatürlich. Daneben die Hochhäuser. Sie ragen in den Himmel. Auch hier ein Versuch mit Grünem. Doch das Grau der Bauten ist trist und deprimierend. Es ist still. Man kann die leichte Brise spüren und hören. Sogar die Bewegung des Laubes hört man. Wenn man lauscht, hört man auch die Straße und den Verkehr, die Stadt. Sie ist immerhin nicht weit weg. In der Ferne hört man auch Kinder, sie toben sich am Spielplatz aus. Von Vögeln jedoch keine Spur. Es ist keiner zu sehen und nur wenn man ganz genau hinhört, bemerkt man ein leises Zwitschern. Zu laut ist die Straße, zu schlecht das Nahrungsangebot. Ein vereinzelter Zitronenfalter fliegt vorbei. Ein junger Hund freut sich auf einen Spaziergang mit seinem Herrchen. So jung, so lebensfroh.“

Hanne*: „ Ich sehe eine Hundebesitzerin, die falsch mit der Flexileine läuft, ich fühle mich fertig. Ich sehe ein braun bis dunkelbraunes Eichhörnchen und eine Mutter mit Kindern, ich sehe eine Frau beim Telefonieren, ich sehe schreiende Kinder auf einem Roller vorbeifahren, ich fühle mich genervt. Ich sehe einen alten Herrn, der mich sieht. Überall sehe ich Menschen, die Flexileinen falsch verwenden. Ich sehe Bäume. Ich sehe ein Fahrzeug mit Gärtnern und eine Frau mit Bauchtasche, ich sehe Ameisen in verschiedenen Größen und eine Frau auf dem Fahrrad. Ich sehe eine Raupe, wie sie auf die andere Wiesenseite wechselt. Ich denke an meinen Hund, an seinen Magen, die allgemeine Gesundheit meines Hundes. ich denke an den Tod, daran wie man stirbt und den Todestag von Romy. Manchmal träume ich von ihrem Tod oder dem meines Hundes. Ich denke darüber nach, weit weg zu laufen. Mit Hund. Ich denke daran, mein Handy weg zu werfen, ohne Handy zu leben. Ich denke daran, selbst das Problem zu sein, nicht klarkommen können, mich selbst hassen an solchen Tagen. Dann wieder daran denken: Was ist das Beste für meinen Hund?“

Nino*: „Ich höre die Bohrer von der Baustelle und gleichzeitig auch die Geräusche der Autos und Motorräder. Die Bohrer erinnern mich an die WG, in der ich lange wohnen musste. Dort waren oft Baustellen vor dem Haus, vor allem im Sommer. Jetzt höre ich die Motorräder deutlicher und ich freue mich auf den Heimweg mit meinem Motorrad. Bald wird es kalt sein und ich werde nicht mehr fahren können. Bald kommt das 1000 Kilometer-Service: Am vergangenen Freitag hatte ich schon 972 Kilometer drauf. Mein Traum-Motorrad wäre eine KTM Supersport oder eine Harley Davidson Cruiser oder eine Harley Piura oder dergleichen. Jetzt höre ich die Vögel zwitschern. Das erinnert mich an die Schule, da haben wir oft Exkursionen gemacht und viel Zeit in der Natur verbracht. Die Ruhe erinnert mich auch an meine Heimat Äthiopien: Ich würde gerne wissen, ob meine leibliche Mutter noch lebt. Von meinem biologischen Vater weiß ich leider null. Ich hoffe dass es meiner äthiopischne Mutter gut geht. Die Ruhe im Park etspannt mich, das hätte ich mir in der WG auch erhofft. Leider war das nicht oft der Fall. Kopf hoch ist jetzt mein Motto“.

Carnikos*: „Ich sehe eine Parkbank. Das erinnert mich an meine Oma, die oft auf Parkbänken gesessen ist. Ich sehe einen Hydranten, dabei denke ich an Hunde, die ihn anpinkeln. Ich sehe eine Rutsche, die erinnert mich an meine Kindheit. Ich sehe einen Baum, der mir bewusst macht, wie schön die Natur ist. Ich sehe eine Biene, die ich mit Serbien in Verbindung bringe. Der Wasserhahn dort auf dem Hof, um den ein Bienenschwarm fliegt, ich trau mich lange nicht, den Hahn aufzudrehen. Dann doch und im Wasser ertrinken viele Bienen“.

Tom Jock*: „Ich höre die Kinder im Kindergarten spielen, das erinnert mich an meine Kindheit. Ich betrachte die umliegenden Bauten genauer und finde sie hässlich. Ich fühle mich nicht wohl hier. Ich schau einer Dame und ihrem Hund zu. Mir kommen Erinnerungen hoch von der Zeit mit Wotan. Im Supermarkt wirkt alles ziemlich gechillt. Da habe ich das Gefühl, richtig hier zu sein. Auf einer Bank sitzt ein älterer Herr, dem anscheinend alles egal ist. Ich wünsch mir das auch“.

*Namen geändert.