Durchschlafen ist ein Mythos

Stefan Seidel © MedUni Wien Matern

Wir verbringen knapp ein Drittel unseres Lebens im Bett. Der Schlaf erfüllt dabei viele wichtige Funktionen für das körperliche und geistige Wohlbefinden. Allerdings nimmt die Häufigkeit von Schlafstörungen deutlich zu. Wie man die verschiedenen Schlafstörungen erkennen und trotz oder eben mithilfe moderner Techniken weiterhin gut schlafen kann, beschreibt Stefan Seidel von der Medizinischen Universität Wien in seinem Ratgeber „Der Schlaf“. Im Interview erklärt der Schlafforscher was sich während unseres Schlafes in unserem Körper ereignet und welche Schlafstörungen auf welche Art und Weise diagnostiziert und behandelt werden können.

Access Guide Magazin: Wie wichtig ist Durchschlafen?

Seidel: Das Durchschlafen ist ein Mythos, weil es niemals zutrifft. Im Schlaflabor zeigt sich, dass das Gehirn 10 bis 15 Mal pro Stunde kurz aufwacht. Dieses Aufwachen ist Teil unseres Schlafes. Vor der Erfindung der Elektrizität war es üblich, den Schlaf in einen ersten und zweiten Schlaf zu teilen. Der Grund dafür war, dass man zwischendurch Feuer machen musste. Dann waren die Menschen eine Zeitlang wach, haben sich Geschichten erzählt und dann weitergeschlafen. Der Zwang, dass ein guter Schlaf durchgängig sein muss, stimmt nicht – das ist von der Natur nicht vorgegeben.

Buchtipp „Der Schlaf“ Stefan Seidel Manz Verlag und MedUni Wien 2020

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Access Guide Magazin: Wie viele Österreicher*innen sind von Schlafstörungen betroffen?

Seidel: Eine Schlafstörung mit tatsächlichem Krankheitswert, d.h. eine chronische Insomnie betrifft ungefähr 8 bis 9 Prozent der heimischen Bevölkerung, davon eineinhalb bis zweimal so viele Frauen. An Schlafapnoe leiden ungefähr 2 bis 4 Prozent aller Altersklassen. Ab etwa 65 Jahren steigt der Anteil der Schlafgestörten sprunghaft an und liegt dann bei etwa 25%. Zu den schlafbezogenen Störungen gehören das „Restless Legs Syndrom“, von dem – je nach Alter – 5 bis 15% betroffen sind. Neben den häufigen Ein- und Durchschlafstörungen gibt es auch seltene Erkrankungen wie die Narkolepsie, die ungefähr 0,04% der Bevölkerung betrifft. Die Betroffenen leiden unter anderem an einer erhöhten Tagesschläfrigkeit und sogenannten Kataplexien, einem kurzzeitigen Verlust des Muskeltonus. Dadurch können sie Außenstehenden den Eindruck schwerer Trunkenheit vermitteln. Das führt in der Folge nicht selten zu sozialem Abstieg und Stigmatisierung.

Access Guide Magazin: Welchen Zusammenhang gibt es zwischen psychischen Erkrankungen und Schlafstörungen?

Seidel: Das ist ein Wechselspiel. 70% der Insomnien haben psychische Ursachen. Bei Depressionen gibt es z.B. das frühmorgendliche Erwachen. Das hat unter anderem eine biologische Basis, nämlich ein Übermaß an Stresshormonen – also den verfrühten Anstieg von Cortisol am Morgen. Bei depressiven Menschen ist außerdem der Melatoninhaushalt gestört, der den Schlafrhythmus bestimmt. Viele Patienten mit Insomnie setzen auch eine schlafbezogene maladaptive Coping-Strategie ein, indem sie früher schlafen gehen, aber dann nur länger wach im Bett zu liegen. Das verstärkt die Depression und die Gedanken kreisen immer um dieselben Themen. Das setzt oft einen Teufelskreis in Gang.

Für eine gute Schlafhygiene ist es außerdem wichtig, dass man sich nach dem eigenen Chronotyp richtet. Bei der Depression ist es sinnvoll, den Schlaf-Wach-Rhythmus eher nach vor zu verschieben, weil sich früheres Aufstehen positiv auswirkt.

Access Guide Magazin: Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?

Seidel: Als Behandlung der ersten Wahl bei chronischer Insomnie empfiehlt sich eine kognitive Verhaltenstherapie. Es geht darum die Gedankenmuster neu zu strukturieren, die Erwartungshaltungen anzupassen, Entspannungstechniken einzusetzen und gerade bei Einschlafproblemen eine Schlafrestriktion durchzuführen: Die Zeit, die Patienten wach im Bett verbringen soll reduziert werden. Wenn man über mehrere Wochen konsequent später als gewohnt schlafen geht, erhöht das den Schlafdruck und das Einschlafen gelingt leichter. Gleichzeitig ist es wichtig, am Morgen stets etwa zur gleichen Zeit aufzustehen. Ein Schlaftagebuch hilft dabei, einen Überblick zu haben. Wichtig ist, das sogenannte „Schlaffenster“, also die Zeit, die für den Schlaf vorgesehen ist, sollte nicht kürzer als fünf Stunden sein.

Access Guide Magazin: Sie haben vor kurzem an einer Studie mitgearbeitet, die ergeben hat, dass optimistische Menschen besser schlafen. Warum ist das so?

Seidel: Für die Studie haben wir 2017 die Daten einer Online-Umfrage zu den Schlafgewohnheiten und -problemen von 1.004 Österreichern und Österreicherinnen analysiert. Es hat sich gezeigt, dass die Wahrscheinlichkeit an Schlafstörungen bzw. Schlaflosigkeit (Insomnia) zu leiden für optimistische TeilnehmerInnen um rund 70 Prozent geringer war als für pessimistische. Weitere Studien haben gezeigt, dass Optimisten mehr Sport betreiben, weniger rauchen und sich gesünder ernähren. Außerdem wenden sie bessere Strategien zur Problembewältigung an und empfinden weniger Stress in herausfordernden Situationen. Alle diese Faktoren können zu einem besseren Schlaf führen“

Access Guide Magazin: Kann man Optimismus trainieren?

Seidel: Man kann Optimismus durch verschieden verhaltenstherapeutische Übungen fördern. Eine dieser Übungen ist die sogenannte „Best Possible Self-Methode“. Dabei versucht man sich ein Ideal vorzustellen und niederzuschreiben, wie das eigene bestmögliche Leben in der Zukunft aussehen könnte. Nach mehrwöchiger, regelmäßiger Übung kann man somit den eigenen Optimismus fördern. Dabei geht es primär nicht darum, dieses „Ideal“ zu erreichen, sondern generell darüber zu reflektieren und sich danach realistische Ziele zu setzen, die optimistisch für die Zukunft stimmen. Momentan ist es jedoch ungewiss, ob allein die in den Übungen erzielte Steigerung des Optimismus zu einem besseren Schlaf und einer besseren Gesundheit führen. Sollte dies jedoch der Fall sein, was in weiteren Studien untersucht werden müsste, könnte „Optimismustraining“ die Häufigkeit von Schlaf- und anderen gesundheitlichen Problemen in der Bevölkerung reduzieren.

Access Guide Magazin: Vielen Dank für das Gespräch.