Ein strapazierter Begriff

Pexels Kourosh Qaffari

Was sich wie Freiheit anfühlt, muss Freiheit sein, oder? Keineswegs. Die Wiener Autorin Elodie Arpa stellt in ihrem Buch „Freiheit“ gängige Deutungen – und damit gleich uns alle – auf den Prüfstand. Seit Jahrhunderten, ja seit Jahrtausenden suchen wir Menschen nach einer Definition von Freiheit – bisher scheinbar vergeblich. „Es gibt kein Wort, dem man mehr unterschiedliche Bedeutungen gegeben hätte als dem Wort Freiheit. Kein Wort hat die Geister so vielfältig gefesselt“, schrieb der französische Schriftsteller Montesquieu im Jahr 1748.

Freiheit beschäftigt uns auch heute noch. Wir argumentieren mit ihr, wir sehnen uns nach ihr. Und nicht selten entscheiden wir uns für sie. Was aber meinen wir, wenn wir Freiheit sagen? Kaum ein Wort lässt so viele Interpretationen zu und beflügelt uns, kaum eines wird derart vereinnahmt, ausgehöhlt und missbraucht. Elodie Arpa zeigt in ihrem aktuellen Buch, wo das Pochen auf Freiheit für andere gefährlich wird, was unser heutiges Freiheitsverständnis beeinflusst und warum Freiheit schrecklich verführerisch ist. Und nicht zuletzt führt sie uns damit vor Augen, wo unsere blinden Flecken in Bezug auf Freiheit liegen.

„Viele Philosoph:innen, von Aristoteles über Thomas Hobbes, Jean-Jacques Rousseau, Immanuel Kant bis hin zu Hannah Arendt und Friedrich August von Hayek, beschäftigten sich Zeit ihres Lebens intensiv mit der Freiheit. Und auch für gegenwärtige Philosoph:innen ist es ein Thema, an dem sie sich abarbeiten können, ohne je ein Ende zu finden. So sehr der Begriff der Freiheit philosophische Debatten prägt, so sehr ist er auch aus der Politik nicht wegzudenken“, schreibt Arpa. Als Schlagwort geisterte der Begriff Freiheit durch die Wahlprogramme der sechs größten Parteien zur deutschen Bundestagswahl 2021. Und auch bei der österreichischen Nationalratswahl 2019 war in den Wahlprogrammen der fünf größten Parteien immer wieder von Freiheit die Rede. „Mit Freiheit wird auf Wahlplakaten geworben, in Sonntagsreden nach Stimmen gefischt und einige Parteien tragen die Freiheit sogar im Namen. Ob links oder rechts, progressiv oder konservativ – jede politische Gruppierung bekennt sich zur Freiheit und tut das laut kund“, so Arpa. Obwohl omnipräsent versteht jede:r von uns etwas anderes unter dem Begriff.

Und weil das so ist, diene der Begriff Freiheit als Projektionsfläche für unsere größten Wünsche, tiefsten Sehnsüchte und dringendsten Erwartungen. Das weiß auch die Werbung, die uns tagtäglich mit Freiheitsversprechen bombardiert. Auch Wirtschaft und Politik bedienen den Begriff: „Wer mit Freiheit wirbt, befindet sich auf sicherem Terrain. Bei einem so weiten, unklar definierten Begriff wirft einem nämlich selten jemand vor, man würde ihn zur Täuschung oder Manipulation nützen“, schreibt die Autorin. Das Wort Freiheit werde ständig ausgehöhlt, irreführend oder gar missbräuchlich verwendet, ohne dass wir das notwendige Vokabular hätten, um diese Vorgänge einordnen zu können. Freiheit eigne sich auch hervorragend als Totschlagargument und verunmöglicht vielfach jede konstruktive Diskussion.

Cover Freiheit Arpa

Das Buch ist bei Kremayr & Scheriau erschienen.

Der Missbrauch des Freiheitsbegriffs hat eine lange – und widersprüchliche – Geschichte. Im Zeitalter der Aufklärung, in dem Denker wie John Locke und Immanuel Kant ihre Freiheitsliebe in zahlreichen Schriften kundtaten, florierte gleichzeitig der Sklavenhandel. John Locke investierte sogar persönlich in Sklavenhandelsgesellschaften. „Nachdem man in Europa einige Jahrhunderte lang von der Gewalt in Afrika profitiert hatte, nutzte man das Argument der Freiheit zur Rechtfertigung des Kolonialismus. Während die imperialen Mächte sich selbst als zivilisationsbringend inszenierten, propagierten sie ein rassistisches Bild der Afrikaner:innen als zur Ordnung und Selbstkontrolle nicht fähig und rechtfertigten die Aufteilung des Kontinents als eine Befreiung Afrikas von sich selbst“, schreibt Arpa. Ein besonders menschenverachtendes Beispiel für die Pervertierung des Freiheitsbegriffs findet sich in der Zeit des Nationalsozialismus wieder, wo die Aufschrift „Arbeit macht frei“ auf den Eingangstoren zahlreicher Konzentrationslager angebracht wurde. Diese historischen Beispiele stellen nur die Spitze des Eisbergs an missbräuchlicher Freiheitsrhetorik dar, denn große und kleine Verdrehungen des Begriffs Freiheit gab es immer schon – und es gibt sie noch.

Freiheit hat mehrere Dimensionen, sie ist eine Idee, ein Grundrecht und ein subjektives Empfinden. Als Grundrecht findet sich die Freiheit in vielen Rechtsordnungen wieder. Freiheitsrechte sind vielseitig und beinhalten auf europäischer Ebene neben Eigentumsfreiheit und Meinungsfreiheit auch das Folterverbot und das Recht auf Schutz der Privatsphäre und vieles mehr. Wirtschaft und Politik seien aber primär darauf ausgerichtet, unser subjektives Empfinden von Freiheit anzusprechen und zwar auf der Gefühlsebene.

portrait elodie arpa

Elodie Arpa © Elodie Grethen

„Freiheit als subjektives Empfinden kann im richtigen Kontext eine wichtige Funktion einnehmen. Gerade in Entscheidungssituationen richten wir uns oft danach, was sich für uns befreiend anfühlt. Allerdings ist genau dieses Freiheitsgefühl stark von unserem Umfeld, von Werbung und von Politik geprägt, daher leicht beeinflussbar und nicht so zuverlässig, wie wir es gerne hätten“, schreibt Arpa. Trotzdem sei es das subjektive Empfinden von Freiheit, das aktuell unsere gesellschaftlichen Diskurse formt – und oft zu einem einseitigen und naiven Freiheitsverständnis führe. Nimmt man das eigene Freiheitsgefühl unreflektiert als Maßstab für gesellschaftliches Handeln und politische Entscheidungen, dann könne das im Ergebnis nicht nur egoistisch sein, sondern auch gefährlich. „Wenig hemmt uns in der konstruktiven Bewältigung akuter Krisensituationen so sehr wie falsch verstandene Freiheit, die es nicht anzurühren gilt. Sie bedroht unseren Planeten, schadet unserer Gesundheit und gefährdet Existenze“, ist Arpa überzeut.

In ihrem Buch zeigt sie die Schwächen in der Argumentation derjenigen auf, die „Freiheit“ rufen, damit aber Egoismus, Ignoranz und Diskriminierung meinen. Arpa fordert ein größer gedachtes, gemeinschaftlicheres Freiheitsverständnis. Eines, mit dem sich Krisen eindämmen lassen und Zukunft erbauen lässt. Ein Freiheitsverständnis, das Freiheit nicht als Gegenpol von Rücksichtnahme und Miteinander versteht, sondern als etwas Bedingtes und Bedingendes. Etwas, was Voraussetzungen braucht und einen Rahmen hat. Zum Buch.

Elodie Arpa, geboren 1999 in Brüssel, LL.B. in Wirtschaftsrecht, studiert aktuell Deutsch und Ethik auf Lehramt in Wien. 2018 war sie Abschlussrednerin des Gedenktags gegen Gewalt und Rassismus im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus. Im selben Jahr war sie Gewinnerin des bundesweiten Mehrsprachenredewettbewerbs „Sag`s multi“. Als Rednerin und Aktivistin setzt sie sich ein für Feminismus, Jugendpartizipation und ein handlungsfähiges und bürgernahes Europa. Als Autorin verarbeitet sie diese Themen zu Spoken Word Poetry und tritt auf diversen Bühnen auf.