In guter Gesellschaft

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Ausgerechnet im Zoo geriet Charles Darwin, Begründer der Evolutionstheorie, in Panik. Er zitterte, weinte, hatte Todesangst und war benommen. „Heute würde man seine Krankheit als Panikstörung mit Agoraphobie etikettieren“, schreibt der deutsche Psychiater Borwin Bandelow im „Journal für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie“. Wie Charles Darwin sind oder waren auch andere prominente Menschen von Angsterkrankungen betroffen. Der amerikanische Schauspieler Dustin Hoffman nahm sich wegen Panikattacken eine berufliche Auszeit. Seine Kollegin Wynona Ryder ließ ihre Angstanfälle in der Psychiatrie behandeln.

Schriftsteller wie Bertolt Brecht, Samuel Beckett oder Franz Kafka hatten ebenso ein Problem mit der Angst wie Sigmund Freud. Der Begründer der Psychoanalyse erlebte eine Panikattacke, als er versuchte mit dem Rauchen aufzuhören: „Da kam plötzlich ein großes Herzelend, größer als je beim Rauchen. Tollste Arrhythmie, beständige Herzspannung … heißes Laufen in den linken Arm, etwas Dyspnoe von verdächtig organischer Mäßigung, das alles eigentlich in Anfällen, d.h. über zwei zu drei des Tages … und dabei ein Druck auf die Stimmung, der sich in Ersatz der gangbaren Beschäftigungsdelirien durch Toten- und Abschiedsmalereien äußerste … Es ist ja peinlich für einen Medicus, der sich alle Stunden des Tages mit dem Verständnis der Neurosen quält, nicht zu wissen, ob er an einer logischen oder an einer hypochondrischen Verstimmung leidet“, schrieb Freud 1894 an seinen Freund Wilhelm Fließ.

Angst vor Selbstentfremdung

Die Symptomatik von Panikattacken hat sich seit Freuds Zeiten nicht verändert: „Im Vordergrund stehen meist körperliche Symptome wie Herzklopfen, Herzrasen, Atemnot, Schwindel, Benommenheit oder Schwitzen und ein Gefühl der Enge in der Brust“, beschreibt Bernd Pfeiffenberger, Personenzentrierter Psychotherapeut in Ausbildung unter Supervision. „Zu diesen körperlichen Beschwerden kommen meist auch kognitive Symptome dazu, darunter die ‚Angst, verrückt zu werden‘ oder die „Angst, die Kontrolle zu verlieren“, sagt der Psychotherapeut. Während einer Panikattacke kann es passieren, dass die Betroffenen Hilfe suchen und etwa den Notarzt oder die Rettung rufen oder sogar eine Notfallambulanz aufsuchen. Wenn jemand in der Öffentlichkeit eine Panikattacke bekommt, etwa in einem Supermarkt, dann versuchen die Betroffenen diesen Ort so schnell wie möglich zu verlassen, um sich in Sicherheit zu bringen.

Bernd Pfeiffenberger © privat

Bernd Pfeiffenberger © privat

„Wegen der heftigen körperlichen Symptome dauert es mitunter sehr lange, bis Menschen mit Panikstörungen therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen. Betroffene haben nicht selten eine Odyssee durch sämtliche medizinischen Instanzen hinter sich. Es ist auf alle Fälle wichtig eine organische Erkrankung auszuschließen“ unterstreicht Pfeiffenberger.

„Nach dem aktuell geltenden Verzeichnis psychischer Störungen ist das wiederkehrende Auftreten unerwarteter Anfälle über mindestens einen Monat hinweg ein zentrales Merkmal für die Diagnose Panikstörung“, erklärt Pfeiffenberger. Dazu kommen anhaltende Sorgen über das Auftreten weiterer Panikanfälle – also die Angst vor der Angst,  Sorgen über die Bedeutung des Anfalls oder seiner Konsequenzen und eine deutliche Verhaltensänderung infolge der Anfälle. „Nicht selten tritt neben den Panikanfällen auch ein Vermeidungsverhalten auf, wie etwa eine Agoraphobie“, sagt der Psychotherapeut.

„Einer meiner Klienten hatte zum Beispiel Angst davor, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen und hohe Räume zu betreten. Er hat dann eine Freundin gefunden, die für ihn nur öffentlich erreichbar war. Ihr zuliebe hat er sich überwunden hinzufahren. Das war ein Glücksfall, denn die Verliebtheit hat ihn aus seiner Vermeidungshaltung rausgeholt und die Teilnahme am „normalen“ Leben ermöglicht, beschreibt Pfeiffenberger.

Der Faktor Stress

„Im Hintergrund von Panikattacken stehen oft Gefühle, die unterdrückt werden oder die sich die Betroffenen verbieten“, erklärt die Klinische – und Gesundheitspsychologin Katrin Anzirk. Den Panikattacken gehen häufig große, psychische Belastungen voraus, die teilweise Monate zurück liegen. Das können sowohl positive, als auch negative Erlebnisse sein wie ein Todesfall, eine Trennung, aber auch eine Schwangerschaft oder Hochzeit: „Alles was großen Stress auslöst und zu großen und intensiven Gefühlen führt, kann Panikstörungen auslösen“, beschreibt Anzirk. Meistens treten Panikattacken in Kombination mit anderen Angststörungen auf: „Am häufigsten in Verbindung mit einer Agoraphobie, also der Angst vor öffentlichen Plätzen, vor dem Fahren in öffentlichen Verkehrsmitteln oder vor dem ‚In der Schlange stehen“ im Supermarkt“, sagt die Psychologin. Daraus entwickeln sich dann nicht selten Vermeidungsstrategien. Häufig spannen Betroffene Personen aus dem persönlichen Umfeld als „Begleitschutz“ ein.

Wie eingangs erwähnt vermuten Menschen mit Panikattacken zunächst körperliche Ursachen. Erste Anlaufstelle sind neben Notambulanzen praktische Ärzt*innen: „Leider werden viel zu schnell Medikamente wie Benzodiazepine verschrieben. Die sind zwar angstlösend, machen aber schnell abhängig. Außerdem werden nur die Symptome behandelt und nicht die Ursache“, sagt Anzirk.

Katrin Anzirk © privat 1

Katrin Anzirk © privat

Letztere zu finden sei ein erster, wichtiger therapeutischer Schritt aus der lähmenden Angst zur Handlungsfähigkeit. Als Beispiel erzählt Katrin Anzirk den Fall einer jungen Frau: „Vor ein paar Jahren hatte ich eine 25-jährige Klientin, die ganz plötzlich schwere Panikattacken bekommen hat. Sie hat sich nicht mehr aus dem Haus getraut. Gemeinsam haben wir versucht herauszufinden, woher die Angst kommen könnte. Einige Monate davor war der gewalttätige Vater der Klientin aus dem Gefängnis entlassen worden. Wenig später ist die junge Frau zu ihrem neuen Freund in ein anderes Bundesland gezogen“, erzählt Anzirk. Obwohl das einschneidende Veränderungen waren, hat sie die Klientin zunächst nicht mit ihren Panikattacken in Verbindung gebracht.

„Das Bewusstmachen dieser Verbindungen hat der Klientin wieder Kontrolle über ihr Leben zurück gegeben“, sagt Anzirk. Daran haben sich dann die nächsten therapeutischen Schritte angeschlossen, wie etwa, die Konfrontation mit ängstigenden Situationen wie z.B. an der Supermarktkassa: „Die Klientin hat gelernt, sich während einer Attacke nicht auf die körperlichen Symptome, sondern auf Dinge rundherum zu konzentrieren – etwa die ,Quengelware‘ an der Kassa“, erklärt die Psychologin.

In der Therapie gehen Therapeutin und Klientin eine Zeitlang gemeinsam den Weg in Richtung Autonomie. „Jede therapeutische Schule hat ihre eigenen Strategien bei Panikstörungen. Bei der Verhaltenstherapie gibt es die meisten Wirksamkeitsstudien, was aber nicht bedeutet, dass alle anderen Richtungen – wie systemische, tiefenpsychologische oder humanistische Therapiekonzepte  – nicht genauso gut sind“, sagt Anzirk. Der Hauptwirkfaktor sei in jedem Fall die Beziehung zwischen Therapeut*in und Klient*in.

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Bernd Pfeiffenberger

Katrin Anzirk

Institut Phönix Project